Cocoon, Band 01
Erik zu mir, und ein kalter Schauer überläuft mich. Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass Erik womöglich gar nicht mein Freund ist. Vielleicht führt er mich geradewegs in Cormacs Fänge.
»Gehen Sie schon hoch«, sagt der Wachmann und tritt zur Seite.
Ich halte den Mund, und Erik folgt mir die Stufen hinauf.
»Irgendwelche Ideen?«, murmelt er, während wir den Turm hinaufsteigen.
Ich schüttle den Kopf, und er lässt ein Stöhnen vernehmen. Wenn er ein Spiel mit mir treibt, könnte er mir einen Strick daraus drehen, wenn ich ihm meine Pläne enthülle. Nicht, dass ich welche hätte.
Als wir die letzte Windung der Treppe erreichen, packt mich Erik erneut am Arm und zerrt mich in Loricels Atelier. Die Wände sind blank und zeigen nicht einmal die Grundeinstellung. Ich hebe den Blick nicht vom Boden, doch auch so erkenne ich etliche Fußpaare: blitzend polierte Flügelkappenschuhe, rote Satinpumps und einige schwere Stiefel. Zwischen ihnen ein Paar Knie.
»Liebling«, sagt Cormac mit wütender Stimme. »Wie nett, dass du dich zu uns gesellst.«
Nach einem tiefen Atemzug hebe ich den Blick. In der Ecke wird Jost von zwei bulligen Wachleuten niedergehalten. Aus einer Schnittwunde unter dem linken Auge rinnt Blut. Nicht weit von ihm stehen Maela und Pryana, die mich mit triumphierender Genugtuung betrachten.
»Dir fehlen die Worte!«, ruft Cormac aus und tritt vor mich hin, sodass er mir die Sicht auf Jost versperrt. »Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass ich das noch mal erlebe. Anscheinend haben wir doch noch herausgefunden, wie man dich knackt.«
Erik packt mich fester, doch ich gehe nicht auf Cormacs Stichelei ein.
»Von dem albernen Plan, den du mit ihr hattest, wirst du nun wohl Abstand nehmen«, feixt Maela. Wieso sollte sie mir noch etwas vorspielen, wenn man mich ohnehin töten wird?
»Wir fangen erst einmal mit der Überschreibung an und sehen dann weiter«, sagt Cormac ruhig, aber bestimmt.
»Dann wird sie auf alle Fälle eine bessere Ehefrau abgeben«, sagt Maela, doch während ihr die Vorstellung zu gefallen scheint, wirkt Pryana eher wütend. Wahrscheinlich hat sie eben erst von dem Plan erfahren. Sollte sie etwa eifersüchtig auf mich sein?
Jost, der sich nicht gerührt hat, seit wir hereingekommen sind, wendet sich nun zu Cormacs Entourage um und funkelt sie böse an.
»Das hörst du gar nicht gern, was?«, macht sich Maela über ihn lustig.
»Halt die Klappe, Maela«, befiehlt Cormac.
Ihr triumphierendes Lächeln erstirbt, und sie weicht einen Schritt zur leeren Wand zurück.
Cormac wendet sich an Erik, der mich noch immer festhält. »Wo hat sie gesteckt?«
»Im Forschungsbereich, Sir«, sagt er.
Ich habe gehofft, er würde mich verraten, denn dann wäre mein Argwohn gegen ihn wenigstens bestätigt. Doch Eriks Antwort lässt zu viel Spielraum für Interpretation, sodass ich mir nach wie vor nicht sicher sein kann, auf welcher Seite er steht. Zwar war ich im Forschungsbereich, aber warum sagt er nicht, dass ich im Magazin war? Will er mir noch immer Zeit verschaffen?
»Genug davon«, sagt Loricel aus einer anderen Ecke des Zimmers, und ich drehe mich zu ihr um. Doch sie hat den Blick auf Cormac gerichtet und sieht mich nicht an.
»Wir müssen herausfinden, was sie getan hat«, sagt Cormac und geht an den Webstuhl. »Ruf den entsprechenden Ausschnitt des Gewebes auf.«
Loricel stellt sich vor die Steuerkonsole und gibt den Code ein. Wie der gleitet das klare Geflecht des Konventgeländes auf den Rahmen.
»Loricel war so freundlich und hat das kleine Loch geflickt, das du zurückgelassen hast«, sagt Cormac. »Aber ich möchte, dass du mir genau zeigst, was du getan hast und wohin du gegangen bist.«
Ich schüttle den Kopf. Ihr Verrat ist ein Schlag ins Gesicht. »Frag sie doch selbst!«, fauche ich.
»Lass es mich anders formulieren«, sagt Cormac in sachlichem Tonfall. »Zeig es mir, oder ich töte ihn vor deinen Augen und lass deine geliebte Schwester entfernen.«
Einer der Wachmänner zückt einen breiten, schwarzen Knüppel und drückt einen Knopf. Schnappend fahren Stahldornen aus der Spitze der Keule, die der Wachmann über Jost hält. Ich schaue Jost in die Augen, und er schüttelt leicht den Kopf. Doch hier geht es nicht mehr nur um uns. Wir müssen Sebrina und Amie beschützen.
Inzwischen muss mein rasender Herzschlag im ganzen Atelier zu hören sein. Dennoch spreche ich langsam und bemühe mich, ruhig zu bleiben. »Na schön«, gebe ich mich geschlagen.
Erik
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