Cocoon, Band 01
Reaktion zu beobachten. »Ist das nicht schön?«
»Was?«, fragt er mit einem Stirnrunzeln.
»Der Mantel«, sage ich, während ich mit den Fingern über das Gewebe streiche.
»Ich sehe nichts«, gesteht er verständnislos.
»Tut mir leid, ich wollte nicht … “
»Macht nichts«, unterbricht er mich. »Das ist dein Fachgebiet.«
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Rahmenausschnitt und ziehe einige weitere Fäden aus dem Magazin. Jost steht schweigend hinter mir, tritt aber näher heran, als ich aufstehe, um den Spalt zwischen den beiden Räumen zu schaffen.
Wegen Josts Anwesenheit muss ich mich stärker auf das Gewebe des Ateliers konzentrieren, bevor es deutlich sichtbar wird. Doch als es scharf ist, flechte ich die Fäden in meiner Hand hinein und schaffe die Öffnung. Dunkel und lautlos liegt das Magazin vor uns.
»Wie … «, fragt Jost.
»Guter Trick, was?« Sein dummes Gesicht ist einfach zu schön. »Ich habe ein Stück des Gewebes aus dem Rahmen entfernt und ins Atelier eingeflochten. Durch diese Transplantation wurde ein Durchgang geschaffen. Das ist ungefähr so, wie wenn wir einen Transfer machen und eine Webjungfer unser Geflecht von einem Ort zum nächsten versetzt. Nur dass ich es mit einem Zimmer gemacht habe.«
»Okay, ich glaube, ich habe es kapiert«, sagt er. »Also gehen wir da jetzt rein und sehen uns um?«
Ich beiße mir auf die Lippe und schüttle den Kopf. »Ich will, dass du hierbleibst und Schmiere stehst. Falls jemand kommt, gib mir Bescheid.«
Und wenn ich geschnappt werde, dann lauf weg, füge ich im Stillen hinzu, in der Hoffnung, dass er genau das tun wird, sollte der Fall eintreten.
»Wir sollten zusammenbleiben«, sagt er mit fester Stimme.
»Ich weiß, wie die Akten da drin sortiert sind«, erkläre ich ihm. »Ich brauche nur einen Augenblick, und ich mach weniger Lärm als du.«
»In denen nicht«, sagt er und deutet auf meine Füße.
Mit einer Grimasse streife ich meine Pumps ab. Dann hüpfe ich ein paarmal in meinen Strümpfen umher, um ihm meine Leichtfüßigkeit zu demonstrieren, worauf er die Arme verschränkt und widerwillig nickt. Ich drücke ihm die Schuhe in die Hand und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Dann husche ich durch die Öffnung.
Ohne das Summen der Lampen ist es ganz still in dem Raum, und ich halte die Digiakte vor mich, um mir zu leuchten. Gerade rechtzeitig, denn beinahe wäre ich gegen die erste Regalreihe gestoßen. Ich schlittere daran vorbei und bin froh um die rutschigen Strümpfe. Dann schleiche ich mich zur Vorderseite der Regale, wo ich Sebrinas Akte gefunden und meine Suche nach Amie begonnen habe. Die einzelnen Akten sind innerhalb der Sektoren nach Datum geordnet. Erste Schwierigkeiten ergeben sich, als ich feststellen muss, dass sie nicht unter ihrer ursprünglichen Identifikationsnummer geführt wird, was bedeutet, dass sie unter ihrer neuen läuft. Ich muss die Cypressakten finden.
Rasch überfliege ich die Regalreihe, bevor ich zur nächsten haste, bis ich die Nummern finde, die ein O für den Östlichen Sektor enthalten. Dort halte ich nach Cypress Ausschau. Ich hoffe, dass nicht noch ein anderer Haken an der Sache ist, als mein Finger auf einer Akte mit ihrem Geburtsdatum zu liegen kommt. Auch die restlichen Buchstaben und selbst die Initialen meiner Mutter stimmen überein. Also ziehe ich die Karte heraus und scanne den Code. Während das Ladesymbol blinkt, halte ich den Atem an. Und da ist sie: Amie Lewys.
Ich ertrage es nicht, die Einträge über den Grund ihrer Neuverwebung zu lesen, auch wenn ich weiß, dass es größtenteils Lügen sind. Ich speicher ihre Daten auf der Digiakte und schiebe die Karte vorsichtig ins Gehäuse zurück. Kurz frage ich mich, ob es den Konvent, sollte er Sebrina oder Amie belangen wollen, aufhalten würde, wenn ich die Akten mitnähme. Aber wenn sie über Sicherheitskopien verfügen, würde ich sie dadurch warnen. Ich ziehe Sebrinas Karte hervor und schleiche lautlos zu der Stelle, wo ich sie gefunden habe. Zweimal muss ich auf der Karte nachlesen, weil ich mir die Identifikationsnummer nicht merken kann. Schließlich war meine Entdeckung reiner Zufall. Eben stecke ich die Karte in ihr Gehäuse, als ich Stiefeltritte höre, die sich nähern. Die regelmäßigen Schritte klingen nach Jost. Ich bin ja auch schon lange genug hier, damit er sich womöglich Sorgen macht. Trotzdem warte ich nicht, um herauszufinden, ob er es ist. Ich schleiche ans Ende des Regals, drücke mich dagegen und
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