Code Delta
Doch es würde ihn jemand ersetzen, der sich wahrhaft darauf verstand, wie man Furcht verbreitete und Loyalität gewann, während er sich gleichzeitig lobpreisen ließ.
Nimrod betrachtete die großen Statuen, deren mächtige Hände jetzt die Decke stützten. Noch vor ein paar Monaten hatten sie die Grundsteine zu dieser Zikkurat gelegt. Mit ihnen würde es beginnen. Zwar hatten sich die Menschen mittlerweile an den Anblick der Statuen gewöhnt, doch zitterten sie immer noch bei deren Auftauchen. Nun würden sie erleben, wie ihre schlimmsten Ängste Wirklichkeit wurden.
Nimrod erhob sich von seinem Thron und ging zur nächststehenden Figur. Er legte die Hand auf die glatte Marmoroberfläche, sah empor zu den blauen Augen und sagte in der Sprache seiner Vorväter, mit den Betonungen und Modulationen, die man nur ihn gelehrt hatte: »Versatu elid vas re’eish clom, emet.«
Bei der nächsten Statue wiederholte er den Satz. So umrundete er die ganze Kammer und sprach noch zehnmal zu den Steinen.
Dann kehrte er zurück auf seinen Thron, der sich plötzlich bequemer anfühlte, als die Verkrampfungen in seinem Rücken sich lösten. Die Ordnung würde wiederhergestellt sein, bevor die aufgehende Sonne den Schatten seines Turmes über die Ebene warf. Er entspannte sich.
Wenn auch nur einen Augenblick lang.
Die schwere hölzerne Tür zur inneren Kammer schwang auf und schlug gegen die massive Steinwand. Azurad, sein treuer Berater, stürzte herein, und die Worte sprudelten aus ihm heraus, dass sein Schnurrbart bei jeder Silbe zuckte.
»Beruhige dich, Azurad. Komm erst einmal wieder zu Atem. Und dann berichte mir, was dich bekümmert.«
Azurad stützte die Hände auf die Knie. Seine violette Tunika schleifte durch den Staub, den die Bauarbeiten des letzten Jahres hinterlassen hatten. Er tat einen langen, tiefen Atemzug, richtete sich schließlich wieder auf und verkündete: »Herr, Sem und seine Gefolgsleute nähern sich.«
Die Schmerzen in Nimrods Rücken kehrten mit Macht zurück.
»Wie viele sind es?«
»Hunderte.«
Nimrod spürte, wie seine Brust sich zusammenzog. Hunderte von Männern? Undenkbar.
Das wäre sein Ende … ohne die Giganten, die hinter ihm zum Leben erwachten. Er konnte es nicht sehen, doch die schreckgeweiteten Augen seines Beraters sagten ihm genug.
»Du … du würdest sie … zum Töten?«
»Die alten Götter sind nicht gebunden an …«
»Du wirst seinen Zorn auf uns herniederbringen!«
Nimrod sprang auf. »Was redest du da?« Er stieß den Zeigefinger gen Himmel. » Sein Zorn ist nichts im Vergleich zu meinem. Seine Stärke ist wie …« Er verstummte. Etwas stimmte nicht. Azurads Miene hätte Schrecken ausdrücken sollen. Doch sie zeigte nur Verwirrung.
»Sprich, was quält dich?« Nimrod wartete eine Sekunde. »Sprich!«
Azurad sprach. Und Nimrod verstand kein Wort. Die Sätze glichen keinen, die er je zuvor gehört hatte, und doch klangen sie deutlich artikuliert und flüssig. Der Gesichtsausdruck seines Beraters dagegen war unmissverständlich. Die Angst ließ ihm das Blut zu Kopf steigen. Er stieß einen panischen Schrei aus und rannte davon.
Ein zuckender Schatten fiel im Fackellicht über Nimrod. Etwas bewegte sich hinter ihm. Nimrod sog scharf die Luft ein und erstarrte. Er hatte den stummen Giganten noch keine Befehle erteilt. Sie hätten auf sein Wort warten müssen, nur seinen Wünschen gehorchend. Langsam drehte er sich um und erblickte eine der Statuen unmittelbar vor sich.
Was tut sie denn da?, fragte er sich und richtete den Blick nach oben. Die Statue reckte die geballten Fäuste, jede von der Größe eines Männerkopfes, hoch über ihren Löwenschädel. Und obwohl dessen Miene so ausdruckslos blieb wie zuvor, war ihr Vorhaben unverkennbar.
Zum ersten Mal im Leben füllten sich Nimrods Augen mit Tränen. Die Fäuste sausten herab. Die Statuen umringten ihn, stürzten sich auf ihn wie wilde Tiere und rissen ihn Glied für Glied in Stücke.
Im Hintergrund stand Sem und sah mit vor der Brust verschränkten Armen zu. Nimrod war nie in den Sinn gekommen, dass auch andere Familienmitglieder in einige Geheimnisse der uralten Sprache eingeweiht sein könnten – Geheimnisse, die von Generation zu Generation weitergegeben, aber nie zur Gänze einem einzelnen Menschen anvertraut wurden. Die menschliche Sprache war ein zweischneidiges Schwert, das die Schöpfung korrumpieren konnte. Nimrod hatte das bewiesen.
Während das Blut seines Neffen sich in Rinnsalen über den
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