Codename Hélène
befreit, kehrt Charlotte Gray auf der Suche nach ihrer eigentlichen Sehnsucht zurück nach Frankreich und findet den geliebten Schattenkrieger in seinem Bauernhof in der Provence. In einer Umarmung endet der Film.
Wie sich herausstellte, verbindet die erfundene Geschichte der Charlotte Gray mit der wahren Biografie der Untergrundkämpferin Nancy Wake immerhin so viel: Auch sie ist mit dem Fallschirm über Frankreich abgesprungen, auch sie hat die Deutschen bekämpft, auch sie hat den Krieg überlebt. Da allerdings enden bereits die Ähnlichkeiten. Die wahre Geschichte der Frau, die ein lebenslustiges Playgirl war, wie sie selbst sich bezeichnete, die in der mondänen Welt von Paris und der Côte d’Azur umschwärmt wurde, die aus Hass gegen die Nazis in den Untergrund ging und als Fluchthelferin wirkte, bis sie selbst fliehen musste, die in England eine Spezialausbildung als Geheimagentin Seiner Majestät erhielt, die in einer Mondnacht über Frankreich absprang und die dann bis zur Befreiung in der Schattenarmee ihren Mann stand – diese wahre Geschichte ist viel spannender als die ausgedachte.
Nancy Wakes Leben nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte zwar länger als das zuvor, 66 Jahre, doch aufregend war nur das andere. Ihren 1985 veröffentlichten Erinnerungen gab sie deshalb mit auf den Weg: »Freiheit ist das Einzige, wofür sich zu leben lohnt. Während ich meine Pflicht erfüllte beim Maquis, dachte ich oft: Macht nichts, wenn du getötet wirst, denn ohne Freiheit wäre es nicht wert zu leben.« Julia Gillard, Premierministerin von Australien, dem Land, wo Nancy ihre Kindheit verbrachte, sah das in ihrem Nachruf ebenso: »Sie war eine Frau von außergewöhnlichem Mut und Einfallsreichtum, deren waghalsige Heldentaten Hunderten von alliierten Soldaten das Leben retteten, und half, die Nazi-Besetzung Frankreichs zu beenden.«
Viele Geschichten aus jener Zeit, die post mortem gedruckt über die gebürtige Neuseeländerin verbreitet wurden, scheinen zu gut, um wahr zu sein. Manchmal war trotz aller Recherchen nicht endgültig zwischen Fiktion und Fakten zu unterscheiden und zu bestimmen, was nur gut war und was gut und außerdem wahr. Dass Nancy Wake beispielsweise an der Côte d’Azur Kaviar am Morgen, Champagner am Vormittag und Liebe am Nachmittag bevorzugte, mag ja stimmen, denn sie war jung und hatte eine besondere erotische Ausstrahlung, wie einer ihrer Verehrer aus der Résistance notierte. Das liest sich zweifellos verlockend gut. Aber ist es auch wahr? Freunde von Nancy oder Mitstreiter aus dieser Zeit gibt es keine mehr, Nancy Wake hat sie alle überlebt.
Sowohl in einer englischen als auch in einer australischen Biografie über Nancy Wake werden auf vielen Seiten sogar Dialoge abgedruckt – angeblich wörtlich so gesprochen bei der Planung von Attentaten oder in einer Gefechtspause in der Auvergne oder bei Verhören der Gestapo oder auf der Flucht über die Pyrenäen. Die dürften aber eher frei erfunden worden sein von den Autoren, denn logischerweise lief im Untergrund nie ein Tonband mit, um für die Nachwelt aufzuzeichnen, was gesprochen wurde.
Die Suche nach belegbaren Spuren im Leben von Nancy Wake, geboren 1912 , gestorben 2011 , brachte jedoch zutage, dass es viele gute Geschichten gibt, die wirklich wahr sind: Wie sie als junge Journalistin 1938 in Wien erlebt, dass unter hämischer Zustimmung ihrer Nachbarn jüdische Bürger vom Pöbel durch die Straßen gejagt werden. Wie sie nach der Kapitulation und der Aufteilung Frankreichs in den unter deutscher Militärverwaltung stehenden besetzten Norden des Landes und den von französischen Rechtskonservativen regierten unbesetzten Süden als Ambulanzfahrerin und Fluchthelferin und Kurierin der Résistance aktiv wird. Wie sie über die verschneiten Pyrenäen ins neutrale Spanien flüchtet, als die Gestapo sie zu jagen beginnt. Wie sie von Gibraltar aus unter stetiger Bedrohung durch deutsche U-Boote nach England verschifft wird. Wie sie in einem Trainingscamp als Agentin für den britischen Geheimdienst ausgebildet wird. Wie ihr die da antrainierte Nahkampftechnik des silent killing das Leben rettet, weil sie deshalb in Frankreich einem SS -Mann per Karateschlag das Genick brechen kann, bevor der zu seiner Waffe greift. Wie sie im Juni 1944 kurz vor dem Frühstück eine Frau erschießen lässt, die für die Deutschen spionierte, und danach in aller Ruhe ihren noch heißen Kaffee austrinkt. Wie sie, einzige Frau unter Männern, ein
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