Codename Merlin - 3
klingen lassen.
Genau das wollte Duchairn gerade noch einmal laut aussprechen, doch dann verkniff er es sich. Und das tat er gleich aus mehreren Gründen: Zunächst einmal − so wenig er sich das selbst eingestehen wollte −, weil er Clyntahn ernstlich fürchtete. Der Großinquisitor war zweifellos aus allen Kreisen der Kirche der gefährlichste Feind, dessen Zorn man sich nie zuziehen sollte. Zweitens: So sehr sich Duchairn auch ursprünglich dagegen ausgesprochen haben mochte, gegen Charis vorzugehen, sein Beweggrund dafür war nicht etwa gewesen, dass er im Gegensatz zu allen anderen die Gefahr vorausgesehen hatte, die von diesem Königreich ausging. Er hatte sich dagegen ausgesprochen, weil er als der oberste Buchhalter der Kirche genau wusste, welch immense Einkunftseinbußen die Kirche würde hinnehmen müssen, wenn Clyntahn mit seinem Plan, das Königreich Charis zu zerstören, tatsächlich erfolgreich wäre. Und drittens: Weil die Katastrophe, die sich schließlich ereignet hatte, so unvorstellbar war, die Niederlage so vollkommen, so überwältigend, war der Einfluss der ›Vierer-Gruppe‹ auf den Rest des Rates der Vikare fast verschwunden. Wenn sie sich auch nur ein einziges Mal anmerken ließen, dass es in der ›Vierer-Gruppe‹ Unstimmigkeiten gab, dann würden ihre Kritiker sich augenblicklich offen gegen sie stellen … und die restlichen Vikare waren ebenso verängstigt wie Duchairn selbst. Sie würden nach Sündenböcken Ausschau halten, und die Folgen für jeden Sündenbock, auf den sie sich dann festgelegt hätten, wären … unschön.
»Sie mögen vielleicht Ketzer sein, Zhaspyr«, erwiderte er stattdessen. »Und niemand stellt in Abrede, dass jegliche Fragen der Ketzerei zurecht in die Zuständigkeit Ihres Offiziums fallen. Aber das macht doch nichts von dem, was ich eben gesagt habe, deswegen weniger wahr, oder? Falls Sie nicht noch irgendwo eine weitere Flotte versteckt haben, von der wir anderen hier bislang noch nichts wissen, meine ich natürlich.«
Als dem Großinquisitor nun das Blut ins fleischige Gesicht schoss, bis es dunkelrot angelaufen war, befürchtete Duchairn einen Augenblick lang, er sei dennoch bereits zu weit gegangen. Zhaspyr Clyntahn hatte schon immer eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Kampfhund gehabt (manche hatten sogar, insgeheim natürlich, den Ausdruck ›tollwütiger Hund‹ verwendet, um ihn zu beschreiben), und der Großinquisitor hatte auch bereits mehr als einmal seine völlige Skrupellosigkeit unter Beweis gestellt. Es war sehr gut möglich, dass er jetzt zu dem Schluss käme, unter den gegebenen Umständen sei die beste Taktik, für die er sich würde entscheiden können, die Aufbietung aller seiner aus dem Amt erwachsenden Kräfte gegen die anderen Mitglieder der ›Vierer-Gruppe‹, um sie auf diese Weise selbst zu Sündenböcken zu machen.
»Nein, Rhobair«, meldete sich nun eine vierte Stimme zu Wort und verhinderte so jedwede Erwiderung, die Clyntahn beabsichtigt haben mochte, »das macht nichts von dem, was Sie gesagt haben, weniger wahr. Aber es rückt doch unser Problem in ein ganz anderes Licht. Sehen Sie das nicht auch so?«
Zahmsyn Trynair hatte ein auffallend kantiges Gesicht, sein Bart war sauber geschnitten, und seine tief liegenden Augen verrieten immense Intelligenz. Zugleich war er auch das einzige Mitglied der ›Vierer-Gruppe‹, dessen Machtbasis vergleichbar stark mit der Clyntahns war. Als Kanzler des Rates der Vikare war Trynair derjenige, der die eigentliche Kirchenpolitik festlegte − die er durch Großvikar Erek XVII. dann verkünden ließ. Theoretisch war er damit sogar mächtiger als Clyntahn, doch seine Macht beschränkte sich weitgehend eben auf die Politik selbst. Das war oft eine nur indirekt wirksame Macht, die sich am effektivsten langfristig einsetzen ließ und erst im Laufe der Zeit Ergebnisse zeitigte, während Clyntahn jederzeit auf die Treue der Inquisition und die Schwerter des Schueler-Ordens zurückgreifen konnte.
Als sich nun Duchairn und Clyntahn gleichermaßen zu ihm umwandten, zuckte Trynair mit den Schultern.
»Zhaspyr, ich pflichte Ihnen bei, dass das, was wir in den vergangenen Fünftagen gesehen haben, und mehr noch das, was sich hierin verbirgt …« − er streckte die Hand aus und tippte auf den Pergamentstapel, der den eigentlichen Grund für dieses Zusammentreffen darstellte − »… zweifellos als Ketzerei zu bezeichnen ist. Aber Rhobair hat hier nicht unrecht. Ob sie nun Ketzer sind oder
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