Codename Merlin - 3
Gegenwart, und in dieser Gegenwart war das Vorgehen des Herrschers von Charis offensichtlich ungesetzlich. Doch das Ernennungsschreiben, in dem Maikel Staynair in das Amt des Erzbischofs von ganz Charis erhoben wurde, trug nicht nur die Unterschrift Cayleb Ahrmahks, sondern auch die Unterschriften und Siegel jedes einzelnen Mitglieds seines Königlichen Rates sowie des Sprechers des Unterhauses … und dazu die Unterschriften und Siegel von neunzehn der insgesamt dreiundzwanzig anderen Bischöfe des Königreiches Charis. Die gleichen Unterschriften und Siegel zierten auch Staynairs ›Brief‹ − und das war sogar noch erschreckender. Dies hier war nicht die Herausforderung eines einzelnen Mannes, eines einzelnen Königs, eines eigenmächtigen Erzbischofs: Hier stellte sich ein ganzes Königreich offen gegen die Kirche, und was daraus erwachsen mochte, wenn man das hinnähme, war schlichtweg unvorstellbar.
Aber was sollten wir unternehmen, um es eben nicht hinnehmen zu müssen? Fast verzweifelt stellte sich Duchairn diese Frage immer und immer wieder. Sie haben die Flotten von Corisande, Emerald, Chisholm, Tarot und Dohlar besiegt − oder, wie Zahmsyn sagt: zerstört. Es ist niemand mehr übrig, es gibt keinen mehr, den wir ihnen entgegenschicken können.
In das gleichermaßen zornige wie verängstigte Schweigen seiner Kollegen hinein sprach nun Trynair weiter: »Ich denke, wir müssen uns allmählich eingestehen, welchen Beschränkungen wir im Augenblick unterworfen sind. Und um ganz ehrlich zu sein: Wir haben keine andere Wahl, als ganz offen sowohl mit dem Scheitern unserer ursprünglichen Politik umzugehen als auch mit den Schwierigkeiten, denen wir uns werden stellen müssen, um uns von eben jenem Scheitern zu erholen.«
»Wie das?«, fragte Maigwair nur; ganz offensichtlich schmerzten ihn immer noch die Bemerkungen, die Trynair zuvor gemacht hatte.
»Der Vorwurf Staynairs, der sich auf Mutter Kirche und die Autorität des Rates der Vikare mit größter Wahrscheinlichkeit am schädlichsten auswirken wird«, gab Trynair zurück, »ist, dass dieser Angriff, der gegen Charis geführt wurde, irgendwie Cayleb und seine Anhänger erst zu dieser offenen Trotzhaltung gedrängt und in die Ketzerei getrieben hat. Es wird der Eindruck erweckt, dass, hätten wir uns nicht in dem Maße gegen die bisherige Politik Haarahlds gestellt, Charis für uns nicht verloren wäre.«
Erneut blickte er sich am Tisch um und bemerkte, dass Duchairn ihm kurz zunickte. Natürlich würden ihre Gegner genau das behaupten. Schließlich stimmte es ja auch, oder etwa nicht?
»Ich behaupte«, fuhr Trynair fort, »diese Dokumente hier sind der bestmögliche Beweis dafür, dass eine derartige Anschuldigung jeglicher Grundlage entbehrt.«
Unwillkürlich hob Duchairn vor Erstaunen die Augenbrauen, doch es gelang ihm gerade noch, nicht auch noch ungläubig den Mund aufzureißen.
»Es ist ganz offensichtlich«, sprach der Kanzler weiter, und immer noch klang es ganz so, als habe das, was er hier erzählte, immerhin oberflächliche Bekanntschaft mit der Wirklichkeit geschlossen, »dass, wessen Name auch immer unter diesem sogenannten ›offenen Brief‹ stehen mag, letztendlich Cayleb dahintersteckt. Staynair ist lediglich Caylebs Marionette, die hier als Sprachrohr missbraucht wird − er ist die frevlerische und blasphemische Maske für Caylebs Entschlossenheit, die aggressive und gefährliche Außenpolitik seines Vaters fortzusetzen. Zweifellos werden einige Leute annehmen, Caylebs unbestreitbarer Zorn über den Tod seines Vaters und der Angriff, den wir unterstützt haben, hätten ihn dazu getrieben, sich uns trotzig entgegenzustellen. Doch es wurde ja bereits deutlich festgestellt, dass sich mitnichten Mutter Kirche oder der Rat der Vikare dafür eingesetzt haben, zu den Waffen zu greifen, um Haarahlds übertriebenen Ehrgeiz einzudämmen, sondern vielmehr die Ritter der Tempel-Lande.«
Auch das nahmen Clyntahn und Maigwair hin, ohne mit der Wimper zu zucken, wie Duchairn bemerkte, auch wenn die ›weltlichen‹ Regenten der Tempel-Lande zufälligerweise allesamt auch Mitglieder des Rates der Vikare waren. Zweifellos hatte die juristische Fiktion, es handle sich dabei um zwei grundverschiedene Wesenheiten, den Vikaren im Laufe der Jahre immer wieder gute Dienste geleistet. Doch alleine schon die Häufigkeit, mit der man sich eben genau dieses Schachzugs bedient hatte, bedeutete doch, dass wirklich jeder wusste, wie falsch und sinnlos diese
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