Codename Merlin - 3
Verurteilten das Recht zustand, öffentlich zu bereuen und seinen Sünden zu widersagen, bevor das Urteil vollstreckt wurde.
Gelegentlich wurde diese Tradition auch übergangen. Das hatte Dynnys schon immer gewusst, schon bevor er selbst in Ungnade gefallen war. Zu seiner großen Schande war er bislang nicht einmal versucht gewesen, gegen diese Vorgehensweise die Stimme zu erheben. Es hatte ihn nie persönlich betroffen, es ging ihn einfach nichts an, und die Inquisition wachte voller Eifersucht über ihre Pflichten und Vorrechte. Wenn die Inquisition es vorzog, einen Verbrecher zum Schweigen zu bringen, damit er nicht die letzten Momente seines Lebens noch dazu nutzte, seine Unschuld zu beteuern, die Inquisition selbst der Folter zu bezichtigen oder erneut ketzerische Aussagen zu verkünden oder Gotteslästerungen hervorzustoßen, dann ging das ganz alleine die Inquisition etwas an.
Doch zugleich hatte die Inquisition es auch gelernt, diese Tradition zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Ein Gefangener, der seine Schuld eingestand, um Vergebung flehte, seine Bußfertigkeit bekannte und Mutter Kirche − und natürlich auch dem Schueler-Orden − dafür dankte, seine unsterbliche Seele gerettet zu haben, selbst wenn er dafür seinen sterblichen Leib würde aufgeben müssen, bewies doch, wie gerecht die Inquisition war. Das war der Beleg dafür, dass niemand hier übereilt gehandelt oder geurteilt hatte, dass für wahre Gerechtigkeit gesorgt und Gottes Eigenes heiliges Ziel pflichtschuldig und ordentlich gewahrt worden war.
Und so hatte Dynnys dem Inquisitor sein Wort gegeben. Er hatte ihm versprochen, nur ›Angemessenes‹ zu sagen.
Hatte versprochen, Clyntahn das zu geben, was die ›Vierer-Gruppe‹ von ihm verlangte, sich noch bis zuletzt an ihre Vorgaben zu halten. »Ja, Euer Exzellenz.« Ailysas Magen krampfte sich noch weiter zusammen, als sie sah, wie Dynnys auf der Plattform mit ruhiger Miene Clyntahn anblickte. »Mit Eurer gütigen Erlaubnis und der Gnade von Mutter Kirche möchte ich diese letzte Gelegenheit dazu nutzen, meiner Reumütigkeit Ausdruck zu verleihen, meine Schuld vor Gott und den Menschen zu bekennen und Gott um Vergebung zu bitten.«
»Wenn dies dein wahrer Wille ist, so sprich, auf dass Gott deine Worte hören und die Wahrheit in deinem Herzen ermessen mag«, erwiderte Clyntahn.
»Danke, Euer Exzellenz.«
Dynnys’ Stimme war nicht so tief oder so volltönend wie die Clyntahns, und doch waren auch seine Worte trotz des Windes deutlich zu vernehmen. Er trat etwas näher an die Kante der Plattform heran, stützte sich erneut auf seinen Stock, blickte auf die Menschenmenge hinab, deren Rufen und Pfeifen nun verstummt war; sie alle erwarteten öffentliche Schuldbekenntnisse. Hinter dem ehemaligen Erzbischof lagen immer noch bedrohlich die Folterinstrumente, flüsterten beredt von reinigendem Schmerz, doch Erayk Dynnys schien sie überhaupt nicht mehr wahrzunehmen.
Ailysa blickte zu ihm auf, wünschte sich, doch den Mut aufgebracht zu haben, etwas näher heranzutreten, und gleichzeitig übermannte sie Übelkeit: Sie wusste, was nun geschehen würde.
Und dann ergriff Erayk Dynnys das Wort. »Euer Exzellenz, Ihr habt mich gefragt, ob ich noch etwas zu sagen habe, bevor ich für meine Vergehen dem Tode überantwortet werde, und das habe ich tatsächlich. Offen und aus freien Stücken bekenne ich meine größte Schuld, mein Unvermögen, die Pflichten eines Erzbischofs von Mutter Kirche erfüllt zu haben. Es war mir hehre Aufgabe, zugleich Hüter und Vater für die Herde zu sein, die mir Mutter Kirche in Gottes Namen überantwortet hatte. Es war mir Verantwortung und Vorrecht, über ihre Seelen zu wachen. Sie die Wahrheit zu lehren, sie auf den Pfad Gottes zu führen und ihnen die Lehren Langhornes nahezubringen. Sie zu züchtigen, wie es einem Vater ansteht, wenn es erforderlich ist, sie zu disziplinieren, und dabei zu wissen, dass nur auf diese Weise jene, die in seine Obhut gegeben sind, letztendlich wahrhaftig Gottes unendliche Liebe verstehen werden.
Dies war meine Verpflichtung Mutter Kirche und den Seelen der Erzdiözese von Charis gegenüber, und ich habe schmählich darin versagt, ihr nachzukommen.«
Nicht einen Moment lang wandte Dynnys den Blick von der Menschenmenge ab. Nicht ein einziges Mal schaute er zu Clyntahn hinüber, damit es nicht zu augenfällig war, wie sehr ihm daran lag, dass der Großinquisitor all seine Worte guthieße. Doch selbst ohne den Blick abwenden zu
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