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Codename Merlin - 3

Codename Merlin - 3

Titel: Codename Merlin - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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ehemaligen Erzbischof in die Augen zu blicken, und wirkte fast reumütig, als er sie dem Gefangenen entgegenstreckte. Dynnys schaute den ranghöheren Inquisitor an.
    »Ist das wirklich notwendig?«, fragte er.
    Lange erwiderte der Inquisitor nur schweigend den Blick seines Gefangenen. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
    »Ich danke Ihnen«, sagte Dynnys und trat vor; schwer stützte er sich auf seinen Gehstock, als er mit langsamen Schritten weiterging, bis die Gardisten ihn umringt hatten. Es sah ja nun wirklich nicht danach aus, als werde er jetzt plötzlich davonlaufen und seinem Schicksal entrinnen, bloß weil man ihm nicht die Handschellen angelegt hatte! Außerdem gab es da ja immer noch diese … Vereinbarung mit Clyntahn zu bedenken, nicht wahr?
    »Wollen wir, Pater?«, fragte er und richtete den Blick erneut auf den ranghöheren Inquisitor. Was für ein herrlicher Morgen, dachte die Näherin namens Ailysa. Ein wenig zu kühl, wie so oft im Mai hier in Zion, und vom Pei-See wehte eine recht frische Brise herüber, doch es herrschte strahlender Sonnenschein. Der gewaltige ›Platz der Märtyrer‹ war in sattes, goldenes Gleißen getaucht, und die morgendlichen Geräusche der Stadt wirkten auffallend gedämpft. Selbst die Vögel und Wyvern scheinen stiller und ruhiger zu sein als sonst, dachte sie.
    Aber das bildete sie sich gewiss nur ein. Gottes geflügelte Geschöpfe hatten keinerlei Vorstellung davon, was an diesem herrlichen Frühlingsmorgen geschehen sollte. Wäre es anders, so wären sie so schnell geflohen, wie sie nur konnten.
    Im Gegensatz zu den Tieren wusste Ailysa ganz genau, was hier geschehen würde, und ihr Magen war so verkrampft, dass ihr schon fast übel war. Ahnzhelyk hatte recht gehabt, dieser Tag würde entsetzlich werden, doch Ailysa hatte genau das gemeint, was sie gesagt hatte. Sie musste dabei sein, wie schrecklich es auch werden würde.
    Die Menschenmenge war riesig, sie füllte fast die Hälfte des gewaltigen Platzes vor den hoch aufragenden Kolonnaden des Tempels. Ailysa versuchte herauszufinden, welche Stimmung bei den versammelten Menschen herrschte, doch es gelang ihr nicht.
    Einige von ihnen − viele von ihnen − waren ebenso schweigsam wie sie selbst; sie standen dort, in dicke Jacken oder Umschlagtücher gehüllt und warteten stumm. Andere unterhielten sich munter, als wäre das hier nichts anderes als eine Sportveranstaltung, und doch verrieten ihre ein wenig zu schrillen Stimmen und auch ihre Mienen, dass es anders war. Und dann gab es noch weitere. Sie standen in schweigender Erwartung dort, getrieben von unbändigem Zorn, aufgestachelt durch ungezähmtes Verlangen nach kirchlicher Gerechtigkeit.
    Gerechtigkeit, ging es Ailysa durch den Kopf. Das wäre selbst dann keine Gerechtigkeit, wenn er tatsächlich all der Dinge schuldig wäre, die man ihm vorwirft!
    Ein plötzlicher Luftzug warnte sie vor, und so blickte sie auf und biss sich auf die Unterlippe, als die Prozession von Gardisten, Inquisitoren und natürlich dem Opfer selbst auf den Stufen des Tempels erschien und langsam auf die Plattform zuschritt, die eigens errichtet worden war, damit den Zuschauern auch kein einziges grausiges Detail entging.
    Vereinzelte Stimmen erhoben sich aus der Menschenmenge: Sie kamen von denjenigen, die so lange voller Erwartung ausgeharrt hatten. Jubelrufe, Pfiffe, Flüche. All der Hass, der sich aufgestaut hatte, all die verbitterte Furcht, die dieser Aufstand von Charis, dieser Widerstand gegen Mutter Kirche hervorgerufen hatten, wurden in diesen nur halb verständlichen Rufen spürbar.
    Der ehemalige Erzbischof schien es nicht zu bemerken. Er war zu weit entfernt, als dass Ailysa sein Gesicht hätte erkennen können, doch seine Schultern waren gestrafft, er hielt sich aufrecht, als er, immer noch auf seinen Gehstock gestützt, ruhig weiterging, gekleidet in den schlichten, sackleinenen Umhang eines verurteilten Ketzers. Er hält sich gut, dachte sie, und sie verspürte einen Stolz, der sie selbst jetzt noch überraschte; das gleißende Sonnenlicht durchdrang nur mit Mühe die Tränen, die ihr in die Augen stiegen.
    Erayk Dynnys, seine Wachen und seine Scharfrichter erreichten die Plattform, auf der all die entsetzlichen Werkzeuge ausgebreitet lagen, die erforderlich waren, um die Strafen zu vollziehen, die der Erzengel Schueler für Ketzerei und Gotteslästerung vorsah. Nur einen winzigen Augenblick lang schienen die Schritte des Gefangenen ins Stocken zu geraten, als er die

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