Codename Sparta 01 - Die Sternenkoenigin
war hoffnungslos. »Gratuliere«, sagte er. Sie lächelte, bedankte sich bei ihm. Er ließ das Schachspiel in seine Manteltasche gleiten.
Als das Spiel verschwunden war, kehrte ihr sehnsüchtiger Blick zurück.
Sie gingen ein letztes Mal an der Mauer entlang. Die Schatten waren lang, und der Atem gefror ihnen vor den Gesichtern; der dunstige Himmel wurde von tausend eisigen Kondensstreifen durchzogen. An der Tür erwartete sie eine Schwester, der Doktor blieb jedoch draußen. Als er sich verabschiedete, sah ihn die junge Frau fragend an; sie hatte vergessen, wer er war.
So etwas wie ein plötzliches Gefühl der Auflehnung veranlaßte den Doktor, auf die Tastatur des Telefunks zu drücken. »Ich will Laird sprechen.«
Das Gesicht auf dem Videoschirm war zuvorkommend und höflich. »Tut mir schrecklich leid. Der Direktor nimmt keine unangemeldeten Anrufe an.«
»Es ist privat und äußerst dringend. Bitte sagen Sie ihm das. Ich warte solange.«
»Doktor, glauben Sie mir, es besteht keinerlei Möglichk …«
Er verbrachte lange Zeit am Telefunk, sprach mit einer Angestellten nach der anderen, schließlich gelang es ihm, der letzten das Versprechen zu entlocken, der Direktor würde ihn am nächsten Morgen anrufen. Diese starrsinnigen Begegnungen verstärkten sein Gefühl der Auflehnung erst recht, und als die letzte Verbindung abgebrochen wurde, war der Doktor zutiefst verärgert.
Seine Patientin hatte ihre Akte sehen wollen – die Akte, deren Gegenstand sie bis vor einem Jahr vor ihrer Ankunft im Krankenhaus gewesen war. Er hatte auf die Erlaubnis warten wollen, aber wozu eigentlich? Laird und all die anderen würden es vermutlich nicht glauben, aber es bestand keinerlei Möglichkeit, daß sie das Gesehene ge- oder gar mißbrauchen könnte: Sie würde es praktisch augenblicklich wieder vergessen.
Schließlich bestand darin auch der Zweck dieser ganzen schändlichen Übung.
Er klopfte oben an ihre Zimmertür. Sie machte auf und trug immer noch die Stiefel, das Hemd und die Hose, die sie für den Spaziergang angezogen hatte. »Ja?«
»Sie wollten Ihre Akte sehen?«
Sie betrachtete ihn. »Hat mein Vater Sie geschickt?«
»Nein. Jemand aus dem M. I.«
»Ich darf meine Akte nicht einsehen. Niemand von uns darf das.«
»In Ihrem Fall hat man … eine Ausnahme gemacht. Aber es steht Ihnen vollkommen frei. Natürlich nur, wenn es Sie interessiert.«
Sie folgte ihm wortlos durch den hallenden Korridor und die knarrenden Treppen hinunter.
Der Kellerraum war hell und warm und dick mit Teppichboden ausgelegt, ganz anders als die zugigen Gänge und Krankenzimmer des alten Sanatoriums. Der Doktor führte sie zu einer Lesenische. »Ich habe den passenden Code bereits eingegeben. Falls Sie irgendwelche Fragen haben, ich bin ganz in der Nähe.« Er setzte sich mit dem Rücken zu ihr zwei Nischen weiter auf die andere Seite des schmalen Ganges. Er wollte ihr zumindest ein wenig das Gefühl geben, ungestört zu sein, aber ganz sollte sie seine Anwesenheit nicht vergessen.
Sie betrachtete den in der Tischplatte eingelassenen Bildschirm. Dann strichen ihre Finger geschickt über die Halbkugeln der manuellen Eingabe. Auf dem Bildschirm erschienen Alphanumerics »ACHTUNG: Unbefugter Zugang zu dieser Akte wird nach dem nationalen Sicherheitsgesetz mit Geld- oder Gefängnisstrafe belegt.« Nach ein paar Sekunden erschien ein stilisiertes Kennbild, die Darstellung eines Fuchses. Dieses Bild verschwand und wurde durch weitere Worte und Zahlen ersetzt. »Fall L.N. 30851005, Fähigkeits- und Talenttestprogramm, Auswertung. Zugang durch andere, nicht dem Institut für multiple Intelligenz angehörigen Personen strikt verboten.«
Sie strich erneut über die Eingabeknöpfe.
Auf der anderen Seite des Ganges rauchte der Doktor eine Zigarette – ein uraltes und widerliches Laster –, während er wartete und vor sich auf dem Schirm das gleiche Bild sah wie sie. Die Vorgehensweise und die Auswertung dürften ihr vertraut sein, sie waren in ihr Langzeitgedächtnis eingebettet, denn sehr viel von dem, was sie gelernt hatte, war nicht einfach Information, sondern Verhaltenstechnik und angewandte Phantasie …
Sie erinnerte sich an Dinge, die zum Teil ihrer selbst geworden waren. Man hatte ihr eine Menge Sprachen beigebracht – darunter auch ihre eigene –, indem sie sich auf einem Wortschatzniveau unterhielt und etwas vorlas, das weit über das in ihrem Alter Übliche hinausging. Man hatte ihr beigebracht, Violine und Klavier
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