Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Seite. Er drehte sich im Uhrzeigersinn, bis sein Heck nach Osten zeigte und er in ein Wirbelringstadium geriet. Ein wichtiges Bauteil der Steuerung im Cockpit war ausgefallen. Dieses austauschbare System namens „Green Unit“ kontrollierte Flugdaten und Kommunikation und war für Navigationsprobleme zuständig. Bei Spezialeinsätzen heißt es oft: „Einer ist keiner, zwei sind einer.“ Die Green Unit der Stealth Hawks galt als so wichtig, dass ein Backupsystem an Bord war. Auch mit nur einer funktionierenden Green Unit konnte Razor 1 problemlos fliegen – nicht aber, wenn beide offline waren.
Und tatsächlich waren beide Systeme gleichzeitig ausgefallen. Die Wahrscheinlichkeit dafür lag bei einer Million zu eins. Beinahe graziös sank der dem Untergang geweihte Stealth Hawk mit dem Heck voran auf das große, durch Mauern abgetrennte Areal östlich des Hauptgebäudes.
Die Scharfschützen und die Besatzung an Bord von Razor 2 sahen entsetzt zu, wie aus dem großflächigen Tiergehege ein gewaltiger Staubwirbel aufstieg. Der Stealth Hawk ging so langsam zu Boden, dass eine Kuh und zwei Büffel noch aus dem Weg gehen konnten. Dann setzte der Heli mit dem Landegestell unsanft auf, die Maschine bockte und begann sich verzweifelt immer schneller im Kreis zu drehen. Razor 1 war außer Kontrolle geraten und lag im Todeskampf. Als der Hubschrauber zum zweiten Mal aufsetzte, geschah das mit solcher Wucht, dass er entzweibrach.
Zehn Sekunden lang peitschten die Rotoren in den Boden und der Rumpf hüpfte hin und her wie ein Fisch auf dem Trockenen. Endlich lösten sich Rotoren barmherzig, die Triebwerke erstarben und die Trümmer standen still. Das alles begann so unspektakulär und endete so dramatisch, dass alle vollkommen perplex waren. Washington begriff nicht, was da passiert war. Das Joint Operations Center wusste nur, dass gerade ein Hubschrauber, ein Stealth Hawk, abgestürzt war.
Zwei SEALs steckten Osamas Körper in einen Leichensack und brachten ihn nach unten und aus dem Haus, als sie ein hohes, fast kreischendes Geräusch vernahmen. Scott Kerr rannte aus dem Haupthaus und schaute nach oben. Den Absturz hatte er nicht gesehen. Wegen der hohen Mauern und der vielen Aufgaben, die die SEALs zu erledigen hatten, wussten auch von den Angehörigen der Sturmtrupps nur Vereinzelte, was passiert war. „Razor 1 ist abgestürzt.“
Vor Ort war die einzig logische Schlussfolgerung, dass der Heli abgeschossen worden war. SEALs und Sanitäter stürzten zum Wrack. Das Cockpit, eines der stabilsten Teile des Hubschraubers, war nahezu unversehrt. Ein SEAL-Sanitäter fand die aufgewühlte Besatzung vor, die unter Schock stand, aber unverletzt war.
Die SEALs waren jetzt seit rund 20 Minuten am Zielobjekt. Sie hatten in bin Ladens Unterschlupf jede Menge verwertbarer Informationen vorgefunden. Sie füllten ein Dutzend oder mehr Müllsäcke. Jetzt mussten sie abziehen – und zwar mit einem Hubschrauber weniger, als sie gekommen waren.
Nun zeigte sich, wie gut Kerr für seine Aufgabe ausgebildet und vorbereitet war. Der Plan muss menschliches Versagen verkraften. Er ließ bin Ladens Leichnam in den Command Bird einladen. „Packt das ganze Informationsmaterial zusammen. In zehn Minuten sind wir hier raus. In zehn Minuten sind wir in der Luft!“
Kerr inspizierte das Wrack. Es war nicht mehr flugtüchtig, die Schäden waren zu groß. Doch um es zurückzulassen, war noch zu viel intakt. Der Stealth Hawk musste zerstört werden. Die Piloten standen noch unter Schock, halfen aber, die Bordelektronik und die Steuerungstechnik unbrauchbar zu machen. Die strengster Geheimhaltung unterliegenden Bauteile einschließlich der beiden fehlerhaften Green Units wurden in den Command Bird umgeladen. Sie würden zum Stützpunkt zurücktransportiert und untersucht, um die Fehlerursache zu finden. Währenddessen wurden alle Nichtkombattanten befragt und fotografiert. Den drei toten Terroristen wurden DNS-Proben entnommen. Amals Wunden wurden versorgt und sie bekam eine Tetanusspritze. Dann ordnete Kerr die Exfiltration an. Die Müllsäcke mit dem Informationsmaterial kamen an Bord des Command Birds. Während der Operation waren Hunderte Fotos von den Räumen, den Blutflecken, den Betten, den Schränken, der Kleidung, den Waffen und der Munition gemacht worden – von allem eben außer den Raketen. Die waren nicht zu finden.
Die SEALs bargen 500 Datensysteme, Festplatten, Computer, Laptops, Monitore und Notizbücher in arabischer und
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