Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Behaltet sie hier, bis wir gehen. Es hat keinen Sinn, die Nachricht zu schnell zu verbreiten.“ Frank war nicht umsonst Commander des Squadrons. Wenn man die Gefangenen an verschiedenen Orten festhielt, hinderte man sie zudem daran, Geschichten über Gräueltaten zu erfinden. Obwohl die SEALs solche Vorsichtsmaßnahmen trafen, sollten mehrere Nichtkombattanten später erzählen, Osama sei lebendig gefasst und dann ermordet worden. Die pakistanische Presse würde die Geschichte verbreiten, obwohl sie von Leuten stammte, die gar nicht im Haupthaus oder im zweiten Stock gewesen waren, als der Angriff erfolgte.
Scott betrat bin Ladens Schlafzimmer. Amal lehnte an der Wand, das verwundete Bein vor sich ausgestreckt. Auch sie schluchzte.
Amals Gesicht erkannte Kerr nicht. Doch sie trug Nachtwäsche, befand sich in Osamas Schlafzimmer und hatte das richtige Alter für Ehefrau Nummer vier. Er ging zum Bett hinüber. Osama war von der Matratze gezogen und auf den Rücken gelegt worden. Er wurde fotografiert und der Datenchip an den Kommunikator übergeben. Dieser steckte ihn in ein Lesegerät, das mit seinem Satellitenfunkgerät verbunden war.
Kerr blickte in das Gesicht des Mannes, der das World Trade Center zum Einsturz gebracht und zwei Kriege angezettelt hatte, die zehn Jahre gedauert hatten. Die Predator-Munition hatte seinen Hinterkopf aufgerissen. Bin Laden war tot, doch im Team gab es keinen, der glaubte, das sei das Ende von al-Qaida oder des Terrors. Noch lange nicht.
„Er ist es“, sagte Frank Leslie.
„Ja.“ Kerr erhob sich. „Nehmt eine DNS-Probe.“ Sobald Kerr bin Ladens Leichnam gesehen hatte, meldete er es an Admiral McRaven im Joint Operations Center. Die internen Funkgeräte der SEALs wurden von keiner höheren Kommandostelle überwacht. Es war Scott Kerrs Aufgabe, mit dem Admiral in Dschalalabad Kontakt aufzunehmen. Und Bill McRaven war dafür zuständig, mit Washington zu kommunizieren.
Scott Kerr dachte zurück an den Tag, als er im JSOC-Hauptquartier von der Operation Neptune’s Spear erfahren hatte. Bis vor zehn Sekunden hatte er nicht wirklich geglaubt … Er hatte gedacht, alles würde … Er wusste nicht genau, was, aber auf keinen Fall hatte er angenommen, dass er vier Monate später in Pakistan stehen und auf den toten Osama bin Laden hinabschauen würde.
Kerr wandte sich an den Führer des Red Squadrons. „Was ist passiert? “
„Kinderspiel. Wir sind aufs Dach gesprungen. Niemand hat uns kommen hören. In fünf Sekunden waren wir auf der Terrasse, in 30 im Flur. An der Treppe kam uns jemand entgegen. Er wurde erschossen und die Tür öffnete sich. Crankshaft steckte seinen Kopf heraus, sah uns und warf die Türe zu. Wir traten sie ein und hatten ihn.“
„Was ist mit Nummer drei passiert?“
„Sie befand sich am Fußende des Bettes und hatte beide Beine auf der Matratze. Sie hockte irgendwie da und hielt die Bettdecke vor sich. Er hat sich hinter ihr übers Bett geworfen. Wir haben geschossen. Ein Schuss ging daneben. Einer traf ihr Bein, zwei erwischten ihn, als er über die Matratze hechtete.“
„Was hat er auf dem Bett gemacht?“
„Er wollte das hier.“ Der Anführer des Red Squadrons hielt eine kurze AK-74 hoch. Es war die AKSU, mit der sich Osama so gern ablichten ließ. Die Waffe war ebenso berühmt wie er. Scott Kerr betrachtete sie. Sie war mit einem speziellen 40-Kugel-Magazin ausgestattet. Kerr zog den Verschluss zurück und eine Patrone fiel zu Boden. Die Waffe war mit panzerbrechender Munition geladen.
„Wir haben auch eine Marakow-9-Millimeter gefunden. Hinter dem Bett.“
Scott gab Frank die AK zurück. „Für das Red Squadron.“
„Jawohl, Skipper.“
Frank war Squadron-Führer und SEAL, doch auch er hatte ein bisschen Politikerblut in den Adern. „Vielleicht hätte der Admiral gern die Pistole, Sir. Mit besten Grüßen von den Red Men.“
Kerr lächelte. Verdammt , dachte er, die hätte ich selber gern.
Während der Kommunikationsspezialist auf die Terrasse hinausging und das Satcom einrichtete, hatte Kerr ein, zwei Minuten, um das Zimmer in Augenschein zu nehmen. Es war ziemlich ordentlich und jemand hatte zwei billige Bilder an die Wand gehängt – dekorative Kunst, irgendwie abstrakt. Kerr merkte auch, wie muffig es roch. Ihn erinnerte der Geruch an Kisten mit Altkleidern, die in einer modrigen Garage aufbewahrt wurden.
Bald hatte er einen Satelliten, und eine Sprechverbindung wurde hergestellt. Über das Satcom nahm Kerr Kontakt zum JOC
Weitere Kostenlose Bücher