Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
englischer Sprache, Unterlagen, Finanzdokumente und Diagramme einer neuen al-Qaida, die Osama plante – ohne Sawahiri.
Auch Osama hatte die Nachrichten verfolgt. Er war zu dem Schluss gekommen, dass Sawahiris ausschlaggebende Qualifikation für einen Platz an der Führungsspitze von al-Qaida mit der Revolution in Ägypten hinfällig war. Bin Laden wollte keine Anschläge gegen Ägypten und es gab eindeutige Hinweise darauf, dass Sawahiri einen spektakulären Bombenanschlag auf den Tahrir-Platz plante. Ironischerweise stellten Nachrichtendienstanalysten bei der Durchsicht von bin Ladens Papieren fest, dass Osama ganz mit Sawahiri brechen wollte. Doch der Schritt kam zu spät. Da hatte sich Sawahiri bereits aktiv gegen bin Laden gestellt.
Nicht einmal al-Qaida ist gegen politische Querelen gefeit.
Am Wrack von Razor 1 wurden Sprengladungen angebracht, um den Hubschrauber zu zerstören. Alle sensiblen Teile des Helis wurden mit Sprengstoff bestückt, vor allem die Triebwerke. C4-Blöcke wurden mit langen orangen Zünddrähten versehen, die sich über den Hof bis zu einem Zünder zogen. Die SEALs zählten durch und bestiegen den Hubschrauber. Scott Kerr, der Dolmetscher und sein Bodyguard waren die letzten Amerikaner, die das Grundstück verließen. Die Nichtkombattanten wurden angewiesen, hinter der Mauer zum Gästehaus zu bleiben, wo sie in Sicherheit waren. Sie gehorchten.
Auf der Straße wies Kerr den Sprengmeister an, den Zünder auf drei Minuten Verzögerung einzustellen. Die Sprengung wurde vorbereitet und die letzten vier Männer bestiegen den Command Bird, der bereits mit laufenden Rotoren auf dem Feld auf der anderen Seite der unbefestigten Straße stand. An der Heckrampe des Helis zeigte Scott mit dem Daumen nach oben. Die Triebwerke heulten auf, der mächtige Chinook erzitterte und hob sich langsam in die Luft.
Scott Kerr stand auf der Heckrampe und schaute auf das Anwesen hinunter. Durch seine Stiefel spürte er das Klopfen des Hubschraubers. Er roch die Auspuffgase und JP-5 übertönte die Gerüche des Gehöfts. Er nahm sein Nachtsichtgerät ab. Jetzt sah er das Gelände, wie es bin Laden gesehen hatte. Es waren nur wenige Lichter eingeschaltet. Kerr konnte das elfenbeinfarbene Gebäude in dem schiefen Dreieck sehen, das sich bin Laden als „Botschaft“ gebaut hatte – 8.000 Quadratmeter souveränes Al-Qaida-Territorium, wo er sich außerhalb der Reichweite der Nation wähnte, der er den Krieg erklärt hatte.
Osama hatte sich geirrt. Abbottabad bot keinen Schutz.
Scott Kerr sah zu, wie die Sprengladungen zerfetzten, was von Razor 1 noch übrig war. Die Explosion dröhnte durch die Nacht, löste Alarmanlagen von Autos aus, weckte Babys auf und ließ in Abbottabad die Fensterscheiben klirren. Ein feuriger Rauchpilz stieg aus dem Wrack auf und brennende Teile fielen ringsum herab.
In Abbottabad saß ein Dutzend Menschen am Computer und twitterte, was Scott Kerr dachte: Vielleicht war Abbottabad am Ende doch kein sicherer Ort.
Operation Neptune’s Spear, der größte Triumph des SEAL-Teams 6, hatte in aller Stille begonnen und endete mit einem nächtlichen Donnerschlag.
WAS DANN KAM
UM 22.30 UHR AM SONNTAG, DEM 1. MAI, trat Präsident Barack Obama für ein kurzes Statement vor die Fernsehkameras. Er sagte, „ein kleines Team von Amerikanern“ habe den Urheber der Anschläge vom 11. September auf einem Anwesen in Pakistan ausfindig gemacht. „Nach einem Feuergefecht töteten sie Osama bin Laden und nahmen seinen Leichnam in Gewahrsam.“ Der Präsident sagte: „Amerikaner kamen nicht zu Schaden. Zivile Opfer wurden sorgfältig vermieden.“
Bald kursierten in Washington schon erste Versionen der Mission. Vizepräsident Joe Biden, der den Einsatz im Kontrollraum des Weißen Hauses mitverfolgt hatte, äußerte sich drei Tage nach der Operation: „Ich möchte nicht versäumen, ein Wort zu den unglaublichen, außergewöhnlichen Ereignissen des letzten Sonntags zu sagen. Als Vizepräsident der Vereinigten Staaten und als Amerikaner haben mich die Kompetenz und das Engagement des gesamten Teams absolut beeindruckt – vonseiten der Nachrichtendienste, der CIA und der SEALs. Es war einfach großartig.“ Damit hatte Joe Biden der Welt mitgeteilt, dass das SEAL-Team eingesetzt worden war.
Doch es kam noch schlimmer. Es wurde von einem „45-minütigen Feuergefecht“ gesprochen, was sich als übertrieben herausstellte. Das Weiße Haus verhaspelte sich und durch diverse widersprüchliche
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