Codex Alera 06: Der erste Fürst
vergleichsweise geringen Anstrengungen eines Wasserwirkers würden sie binnen einer Stunde wieder an die Front zurückkehren können.
Und dann kamen … alle anderen. Männer, denen der Bauch aufgerissen worden war, konnten nicht hoffen, in die Schlacht zurückzukehren, waren aber auch nicht in Gefahr, noch an diesem Tag an ihrer Verwundung zu sterben. Männer mit zerschmetterten Rippen, die nicht genug Luft bekamen, um zu schreien, lagen in Todesqual mit schmerzverzerrten Gesichtern da. Sie waren schlimmer dran als diejenigen, die Gliedmaßen verloren hatten, aber in der Lage gewesen waren, mit Verbänden und Aderpressen die Blutung zum Stillstand zu bringen. Ein Mann, dessen Augen ein blutiges, zu Mus zerquetschtes Bild der Verwüstung waren, saß stöhnend am Boden und wiegte sich vor und zurück. Scharlachrote Tränen strömten ihm über die Wangen und schufen eine grausige Maske.
Die Toten, dachte Amara düster, hatten es besser getroffen als alle anderen: Sie konnten keine Schmerzen mehr spüren.
»Gräfin!«, rief Miles.
Amara schaute auf und sah, dass Aquitanias Leibwächter eine Gasse geöffnet hatten, auch wenn sie nicht zu glücklich darüber wirkten. Miles stand in der neu geschaffenen Schneise und winkte Amara heran; sie beeilte sich, zu ihm zu gelangen.
Miles führte sie dorthin, wo Aquitanius hoch zu Ross saß, neben sich ein Dutzend Leute, die ihm im Elementarwirken das Wasser reichen konnten – der Hohe Fürst Antillus, der Hohe Fürst Phrygia und sein Sohn, der Hohe Fürst und die Hohe Fürstin Placida, der Hohe Fürst Cereus und eine Schar von Fürsten, die bewiesen hatten, dass sie aufgrund ihrer Begabung und Disziplin zu den eindrucksvollsten Elementarwirkern des Reichs zählten.
»Gräfin«, sagte Aquitanius höflich, »mein Terminplan verlangt mir heute einiges ab. Ich habe wenig Zeit.«
»Er wird gleich noch voller werden«, sagte Amara und setzte nach kurzem Zögern hinzu: »Hoheit.«
Aquitanius schenkte ihr ein rasiermesserschmales Lächeln. »Erläutere mir das.«
Sie unterrichtete ihn in kurzen, knappen Sätzen über die Horde verwilderter Elementare. »Und sie kommen schnell voran. Dir bleibt vielleicht noch eine halbe Stunde, bevor sie deine Linien erreichen.«
Aquitanius musterte sie gelassen, stieg dann ab, trat ein Stück von den Pferden weg und erhob sich in die Luft, um selbst nachzusehen. Er kehrte binnen weniger Minuten zurück und stieg mit verschlossener, harter Miene wieder auf.
Schweigen breitete sich in dem kleinen Kreis aus, während die Cives zu Pferde unbehagliche Blicke tauschten.
»Eine Elementarbindung?«, sagte Fürstin Placida endlich. »In diesem Umfang? Ist das überhaupt mög …« Sie brach ab, um ihren Mann anzusehen, der ihr einen schiefen Blick zuwarf. Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Ja, da es jetzt in diesem Moment geschieht, ist es natürlich möglich.«
»Verfluchte Krähen«, stieß Antillus endlich hervor. Er war ein stämmiger, grobschlächtiger Mann und hatte ein Gesicht, das aussah, als wäre es in seiner Jugend mit Keulen zerschlagen worden. »Die Elementare werden einfach durch die Linien stürmen. Oder darunter hindurch, oder darüber hinweg. Und sie werden auch noch geradewegs nach Riva ziehen.«
Aquitanius schüttelte den Kopf. »Das sind völlig ungebändigte Elementare. Wenn sie erst einmal losgelassen werden, lässt sich nicht abschätzen, in welche Richtung sie sich wenden.«
»Natürlich«, sagte Amara trocken. »Es wäre ja auch unmöglich, dass die Vord in der Lage sind, ihnen eine Richtung zu verleihen.«
Aquitanius sah sie an, seufzte und pflichtete ihr mit einer gereizten Gebärde bei.
»Wenn es so viele wilde Elementare sind, müssen die Vord sie gar nicht auf ein Ziel ausrichten«, sagte der silberhaarige, alternde Cereus leise. »Selbst, wenn sie die Elementare nur nahe genug heranführen und diese sich dann ungezielt ausbreiten, würden einige ganz sicher über die Stadt herfallen. Es braucht gar nicht viele, um eine Panik auszulösen. Und bei dem Gedränge, das auf den Straßen herrscht …«
»Das würde die Straßen verstopfen, und alle in der Stadt sitzen in der Falle«, sagte Aquitanius ruhig. »Eine Panik unter diesen Umständen würde sich nicht sehr von einem Aufstand unterscheiden. Die Legionen wären gezwungen, die ganze Strecke um die Stadtmauer herumzumarschieren statt durch die Stadt hindurch. Wir müssten unsere Kräfte aufspalten und Truppen zurückschicken, um die Ordnung
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