Codex Alera 06: Der erste Fürst
zu einer weiteren Frage an.
»Für meine frühere Frau ebenfalls nicht«, setzte Aquitanius ruhig hinzu.
Amara sah ihn stirnrunzelnd an. »Die Legionen. Du verlangst von ihnen, gegen wilde Elementare und die Vord zugleich zu kämpfen. Gegen sie zu kämpfen, während eine Schar von Flüchtlingen davonstolpert. Zu kämpfen, während sie sich selbst zurückziehen.«
»Ja«, sagte Aquitanius.
»Sie werden zu Staub zermahlen werden.«
»Du stellst die Gefahr übertrieben dar, Gräfin«, erwiderte Aquitanius. »Nur zu feinem Sand.«
Amara starrte den Mann einfach an. »War … war das ein Witz?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Aquitanius. Er wandte das Gesicht wieder der Front zu.
Seine Augen waren ruhig, umschattet und …
… und gehetzt.
Amara folgte seinem Blick und begriff, dass er die schreienden Verwundeten am Boden anstarrte, die Männer, bei denen das Verhältnis von Leid und Todesgefahr zu ungünstig war, um sofortige Aufmerksamkeit zu verdienen. Sie erschauerte und wandte den Blick ab.
Aquitanius tat das nicht.
Amara wandte sich wieder der Schlacht selbst zu. Noch hielten die Legionares den Feind auf.
»Ja«, sagte Aquitanius leise. »Die Legionen werden einen fürchterlichen Preis dafür zahlen, dass die Bewohner von Riva fliehen können. Aber wenn sie es nicht tun, wird in der Stadt Chaos ausbrechen, und die Zivilisten werden sterben.« Er schüttelte den Kopf. »Auf diese Weise wird vielleicht die Hälfte der Legionares den Rückzug überleben. Die Wahrscheinlichkeit, zu fallen oder zu überleben, ist etwa gleich hoch. Wenn wir gezwungen sind, die Stadt bis zum letzten Mann zu verteidigen, werden sie alle sterben, Gräfin. Für nichts und wieder nichts. Und das wissen sie.« Er nickte. »Sie werden kämpfen.«
»Und du?«, fragte Amara, wobei sie darauf achtete, ihren Tonfall vollkommen sachlich zu halten. »Wirst du kämpfen?«
»Wenn ich meinen Aufenthaltsort und meine Identität verrate, wird der Feind alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um mich zu töten, damit die aleranische Führung in Auflösung gerät. Ich werde gegen die Königin ins Feld ziehen. Oder gegen Invidia. Für die beiden wäre es das Risiko wert. Bis dahin … werde ich mich gedulden.«
»Das ist vermutlich das Beste, Hoheit«, sagte Ehren leise und trat aus seiner unauffälligen Stellung hinter dem Princeps hervor. »Du bist unersetzlich. Wenn du unter diesen Umständen im Kampf gesehen würdest, dann würde Invidia oder die Königin erscheinen und alles daransetzen, dich zu beseitigen. Das steht so gut wie fest.«
Amara holte langsam Atem und sah an Aquitanius vorbei, dorthin, wo Ritter Ehren sich wachsam bereithielt. Der Gesichtsausdruck des kleinen Mannes war völlig undurchdringlich, aber ihm musste klar sein, in welcher Lage Aquitanius sich befand. Die Flut von Befehlen, die er eben erteilt hatte, hatte ihn völlig des Beistandes derjenigen beraubt, die ihm an Elementarkraft gleichkamen. Die anderen, die so stark waren wie er, hatte er ausgeschickt, um ihre Legionen zu beschützen.
So würde Aquitanius, sollte er gegen seine frühere Frau oder gegen die Vordkönigin kämpfen müssen, allein sein.
Seine handschuhbewehrte Fingerspitze klopfte auf seinen Schwertgriff. Es war das Einzige an ihm, was man in Ansätzen als nervöse Reaktion hätte deuten können.
»Jede von ihnen kann dir mindestens das Wasser reichen«, sagte Amara mit gesenkter Stimme. »Wenn sie beide zusammen auftauchen, hast du keine Chance.«
»Nicht wenn, Gräfin«, sagte Aquitanius nachdenklich. Sein Finger streichelte in einer unbewussten Geste über das Heft des Schwerts. »Ich glaube, von ›wenn‹ habe ich mehr als genug. Sobald. Und wir kümmern uns schon darum. Bisher bin ich noch nie geschlagen worden.« Er schürzte die Lippen, beobachtete die Schlacht, schüttelte sich ein bisschen und sagte dann: »Bring die Nachricht nach Riva. Dann kehre hierher zu mir zurück. Ich habe noch mehr Arbeit für dich.«
Amara zog eine Augenbraue hoch. »Vertraust du mir denn genug dafür?«
»Vertrauen?«, sagte er. »Nein. Sag lieber, dass ich dir nicht genug misstraue , als dass ich deine Fähigkeiten vergeuden wollte.« Er lächelte wieder dieses rasiermesserschmale Lächeln und machte eine vage Handbewegung zu den Schlachtenreihen hinüber. »Um ganz genau zu sein: Ich halte dich für eine weniger furchterregende Feindin als unsere Gäste. Jetzt geh.«
Amara musterte den Mann einen Atemzug lang prüfend. Dann nickte sie ihm zu und
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