Codex Alera 06: Der erste Fürst
wenn er sie zurücklassen würde. Er wird schon mit ihnen fertig.«
»In Ordnung. Aber was, wenn nicht?«
Tavi starrte einen Moment lang stumm auf den Weg vor ihnen und sagte schließlich: »Dann … Dann werde ich ihn töten müssen. Wenn ich kann.«
Sie klammerten sich weiter an die Haltetaue, während die Schleiche sich aufbäumte und über das Eis glitt. Nach einem Augenblick legte Max Tavi eine Hand auf die Schulter und ging dann vorsichtig nach achtern, um Kapitän Demos den Befehl zum Beidrehen zu übermitteln.
18
Für Amara verstrichen die nächsten paar Stunden in verschwommener Verzweiflung.
Sie landete mitten in der Kronlegion, deren Legionares seit Jahren in Alera Imperia in der Garnison gelegen hatten, so dass viele von ihnen sie auf den ersten Blick erkennen würden. Sie spießte sich fast selbst auf einem Speer auf, und der erschrockene Legionare , auf dem sie halb gelandet war, hätte ihr beinahe mit seinem Gladius den Todesstoß versetzt. Nur das rasche Eingreifen des Legionare neben ihm hielt ihn davon ab, Amara den garstig scharfen Stahl in die Kehle zu rammen.
Danach kam es darauf an, die Männer zu überzeugen, dass nur ihr Zenturio sich mit ihr befassen konnte und dass der Tribun dieses Zenturios dasselbe würde tun müssen und so weiter, ganz hinauf bis zum Hauptmann der Kronlegion.
Hauptmann Miles war ein steifer wirkendes Spiegelbild seines älteren Bruders Araris Valerian. Er hatte dieselbe unauffällige Größe, denselben kompakten, sehnig muskulösen Körperbau. Sein Haar war ein paar Farbtöne heller als das seines Bruders, aber mittlerweile war es bei beiden von so vielen silbernen Strähnen durchzogen, dass der Unterschied nur noch sehr gering war. Ritter Miles kam raschen Schritts zu ihr herübergehinkt, jeder Zoll das Musterbild eines Legionshauptmanns. Seine Miene war finster vor Zorn. Das war kein Wunder. Amara konnte sich keinen Hauptmann von echtem Schrot und Korn vorstellen, der begeistert gewesen wäre, wenn er unmittelbar nach Beginn der Schlacht irgendeine Verwaltungsangelegenheit aufgedrängt bekam.
Miles warf einen Blick auf Amara und wurde leichenblass.
»Verfluchte Krähen«, sagte er. »Wie schlimm ist es?«
»Sehr schlimm«, sagte Amara.
Miles bedeutete den Legionares , die Amaras Arme festhielten, mit einer knappen Geste, sie loszulassen. »Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es mich freut, dich wiederzusehen, Gräfin. Aber für meinen Geschmack habe ich dich ein bisschen zu oft als Vorbotin von Verwirrung und Gefahr erlebt. Wie kann ich dir helfen?«
»Wie kannst du mich loswerden, meinst du doch«, sagte Amara grinsend. »Ich muss Aqui … Gaius Attis sehen. Sofort. Besser gestern, wenn möglich.«
Miles’ Augen verengten sich, dann verzog sich sein Mund zu einem kleinen, harten Lächeln. »Das dürfte interessant werden. Wenn du mir bitte folgen würdest, Gräfin Calderon?«
»Danke, Hauptmann«, sagte Amara.
Er hielt inne und sagte: »Gräfin, ich gehe davon aus, dass du nicht vorhast, etwas, äh, Unkluges zu versuchen.«
Sie lächelte ihn liebenswürdig an. »Wärst du so freundlich, mir die Waffen abzunehmen, Ritter Miles?«
Er schnaubte gereizt und schüttelte den Kopf. Dann bedeutete er Amara, ihm zu folgen.
Sie ging zwischen dem gleißenden Licht der Legionsstandarten hindurch aus der Stellung der Kronlegion hinaus auf eine Freifläche, die zwischen der einzigen überlebenden Aleranischen Legion und der Ersten Legion von Aquitania lag. Der Raum zwischen ihnen war von Kavallerie besetzt, zu der anscheinend auch der Kommandostab um Gaius Attis gehörte.
Als Amara näher kam, zogen sechs Männer – vermutlich Aquitanius’ Singulares – sofort ihre langen Duellklingen und drängten ihre Pferde zwischen Amara und Fürst Aquitanius.
»Entspannt euch, Jungs«, knurrte Miles. Er wandte sich an Amara und sagte: »Warte hier, Gräfin. Ich spreche mit ihm.«
Amara nickte steif, und Miles zwängte sich zwischen den Singulares hindurch und verschwand. Sie sah die Leibwächter nicht an und stellte sich so hin, dass ihr Gewicht weit hinten auf ihren Fersen ruhte und ihre Hände gut zu sehen waren. Der sehr sanfte Abhang erlaubte es ihr, über die Köpfe der Legionares hinwegzublicken, die sich zwischen ihr und der eigentlichen Front befanden, und sie nahm sich einen Moment lang Zeit, die Schlacht zu beobachten.
Aus ausreichender Entfernung wirkte sie, wie Amara fand, ganz und gar nicht wie ein brutales Ringen. Die Legionares sahen aus wie
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