Codex Alera 06: Der erste Fürst
wiederherzustellen. Das würde genug Verwirrung auslösen, so dass die Vord unbemerkt Agenten und Fänger einschleusen können.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Wir haben in dieser Schlacht noch keine Vordritter gesehen.« Er warf einen Blick zurück über die Schulter. »Sie sind nördlich und westlich von uns, wie Jäger in einer Linie aufgefächert. Bereit, sich auf Flüchtlinge zu stürzen, die ungeordnet aus der Stadt fliehen.«
Amara bekam ein ungutes Gefühl im Magen. Sie hatte die logische Kette des Spielzugs der Vordkönigin nicht bis ganz zu Ende durchdacht, aber was Aquitanius sagte, war äußerst schlüssig. Obwohl die Vord schon in rein körperlicher Hinsicht tödlich genug waren, war die Waffe, die Alera an diesem Tag wirklich zum Verhängnis werden konnte, das Entsetzen. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie in Panik geratene Flüchtlinge und Freie von den wilden Elementaren niedergemetzelt wurden, wie sie mit allem, was sie tragen konnten, auf die Straßen hinausdrängten und die Kinder, die sie bei sich hatten, beschirmten, während sie einen Weg aus der Todesfalle suchten, zu der die Mauern von Riva geworden waren. Einigen würde es gelingen, aus der Stadt zu entkommen – nur, um dann zur Beute eines Feindes zu werden, der aus der Luft angriff. Und solange die übrigen Bewohner der Stadt festsaßen und dem Chaos nicht entrinnen konnten, waren die Legionen wirksam an Ort und Stelle festgenagelt. Sie konnten sich nicht zurückziehen, ohne zuzulassen, dass das Volk von Riva abgeschlachtet wurde.
Die große Stadt, ihre Bewohner und die Legionen, die sie verteidigten, würden binnen weniger Tage gemeinsam sterben.
»Ich glaube, wir halten diese Elementare besser auf«, knurrte Antillus.
»Ja, danke, Raucus«, sagte Fürst Phrygia in gereiztem Ton. »Und was genau schlägst du vor?«
Antillus blickte finster drein und schwieg.
Aquitanius schien einen Moment lang allen Ernstes zu lächeln, ein Ausdruck, der Amara aufgrund seiner aufrichtigen Wärme überraschte. Er verblasste rasch, und Aquitanius Gesicht wurde wieder zu einer kalten Maske. »Wir haben zwei Möglichkeiten – Rückzug oder Kampf.«
»Ein Rückzug ?«, fragte Raucus. »Mit dieser Meute? Wir würden sie im Angesicht des Feindes nie ordnen können. Ganz gleich, welche Legion sich als Letzte zurückzieht, sie würde in Fetzen gerissen werden.«
»Wichtiger ist doch«, sagte Fürstin Placida leise, »dass wir darauf wetten können, dass sie damit rechnen. Ich nehme an, du hast Recht: Sie bringen ihre Lufttruppen hinter uns in Position.«
»Noch wichtiger ist«, sagte Aquitanius, »dass uns kein Ort mehr bleibt, an den wir uns zurückziehen können. Keine Stellung, die noch stärker ist als diese hier. Da es sich nun einmal so verhält …«
»Hoheit«, unterbrach Amara sanft, »das trifft nicht völlig zu.«
Amara spürte, wie sich alle Blicke gebannt auf sie richteten.
»Das Calderon-Tal ist vorbereitet«, sagte sie ruhig. »Mein gräflicher Gemahl hat Jahre damit verbracht, das Reich davor zu warnen, dass dieser Tag kommen würde. Als niemand auf ihn gehört hat, hat er das Einzige getan, was er tun konnte. Er hat sein Zuhause darauf vorbereitet, Flüchtlinge aufzunehmen, und es schwer befestigt.«
Aquitanius legte den Kopf schief. »Wie schwer hätte er es denn beim besten Willen mit den Einkünften eines Grafen befestigen können?«
Amara griff in ihre Gürteltasche, zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor und schlug eine Karte des Calderon-Tals auf. »Hier befindet sich der westliche Zugang an der Dammstraße. Halbhohe Belagerungsmauern sind quer über die ganze fünf Meilen breite Strecke errichtet worden, von den Feuersteinklippen bis zum Eismeer. Alle halbe Meile stehen die üblichen Kastelle nach Art eines Legionslagers. Ein zweiter Festungsgürtel nach allen Regeln der Kunst quert das Tal auf halber Strecke, mit Kastellen und Toren im Abstand von je einer Meile. Am östlichen Ende des Tals ist Kaserna selbst mit weiteren Bollwerken in doppelter Höhe umgeben worden, darunter eine neu errichtete Zitadelle, die etwa ein Viertel so groß ist wie diejenige in Alera Imperia.«
Aquitanius starrte sie an. Dann blinzelte er, ganz langsam.
Fürstin Placida warf den Kopf zurück und brach unvermittelt in lautes Gelächter aus. Sie presste sich die Hände auf den Bauch, obwohl sie ihn durch ihre Rüstung sicher nicht spüren konnte, und lachte weiter. »Oh. Oh, ich hätte nie gedacht, dass ich den Ausdruck auf
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