Codex Alera 06: Der erste Fürst
das Erscheinen der Vord ein Wendepunkt war – dass es das Beste war, was Alera je widerfahren ist. Die Vord haben uns gezwungen, über unsere Grenzen hinauszugehen, nach Jahrhunderten der Stagnation wieder zu wachsen und den Blick über uns selbst hinaus zu richten. Es steht außer Frage, dass wir aufgrund der Vord eine Vielzahl neuer Feinde gewonnen haben, im Canimsinne dieses Worts. Mögen sie uns erhalten bleiben, und mögen wir noch viele weitere treffen.
Aber die Geschichte ist ein kalter und ferner Beobachter. Die von uns, die sich der heutigen Zeit stellen müssen, haben weit begrenztere Ziele: Wir müssen unsere Wunden heilen, um unsere Toten trauern und den Winter überleben. Zu den Krähen mit dem, was die Historiker denken!
Die Geschichte wird schon auf sich selbst aufpassen.
Gaius Tavarus Magnus, 1 V.
»Er sitzt zu eng«, beschwerte Tavi sich und zerrte am Halsausschnitt der Tunika. »Und es ist alles lächerlich übertrieben. Mal ehrlich: Leute verhungern, und sie versuchen, mich mit Edelsteinen und Goldstoff auszustaffieren?«
»Niemand verhungert«, sagte Max. »Sie wünschten nur, sie täten es.« Er trug seine neue Rüstung, die mit der schwarzen Krähe der Ersten Aleranischen Legion auf rotblauem Feld geschmückt war, und dazu seine Ausgehuniform, zu der auch ein Hauptmannsumhang aus rotem Samt gehörte. »Wenn du mich fragst, ist es eine verdammt schlaue Art, das Kroatsch loszuwerden: indem die Leute es einfach aufessen, vor allem, da die Nahrung sowieso so knapp ist, und überhaupt.«
»Etwas zu schlau. Ich habe das Zeug satt.«
Max schnaubte, schlug Tavis Hände beiseite und machte sich daran, den Kragen zu schließen. »Dann hör doch auf, es zu essen.«
»Ich kann nicht der Hälfte aller Leute im Reich sagen, dass sie bis ins nächste Frühjahr Insektenwachs essen müssen, und es dann selbst nicht anrühren, Max.«
»Natürlich kannst du das. Du bist der Erste Fürst.« Max zog eine Augenbraue hoch. »So sehr kannst du es ja nun auch nicht wieder verabscheuen. Weißt du, bei deiner Amtseinführung hat dir diese Tunika noch gepasst.«
Tavi knurrte vor Unbehagen. »Es schmeckt ja vielleicht fürchterlich, aber anscheinend ist es gut für einen. Außerdem trage ich jetzt nicht mehr jeden Tag eine Rüstung.«
»Und das sieht man«, sagte Max fröhlich. Es gelang ihm, mit einem letzten, kräftigen Ruck den Kragen zu befestigen. Dann beäugte er Tavi aufmerksam. »Warum läuft dein Gesicht rot an?«
Tavi ließ beiläufig seine Willenskraft in den Goldstoff strömen und brachte durch Metallwirken die Fäden dazu, sich ein bisschen zu dehnen. Als der Kragen sich gelockert hatte, war er in der Lage auszuatmen, ohne sich anstrengen zu müssen. »So. Wie sieht das aus?«
»Oh, äh«, sagte Max und musterte Tavi andächtig. »Du siehst aus wie ein … Erster Fürst.«
»Wie vielsagend. Danke.«
»Immer gern, Calderon«, sagte Max grinsend.
»Max«, sagte Tavi. »Hast du … Hast du etwas von Crassus gehört?«
Max’ Grinsen verflog. »Er … kommt nicht. Offiziell ist er damit beschäftigt, seinem Vater und seiner Mutter zu helfen, die Lage in Antillus unter Kontrolle zu bringen. Aber er ist immer noch aufgebracht über … na ja. Alles.«
Tavi nickte stirnrunzelnd. »Ich bin froh, dass Antillus Dorotea wieder aufgenommen hat.«
Max brummte verstimmt. Dann sagte er: »In den letzten paar Jahren ist sie fast menschlich geworden. Ich nehme an, sie kann da oben durchaus Gutes tun.«
»Gewiss ist Crassus in guten Händen, was seine Heilung angeht. Ich … Ich wünschte, ich wüsste, was ich tun kann, um es wiedergutzumachen.«
»Hör auf zu glauben, dass du alles in Ordnung bringen kannst«, sagte Max schroff. »Lass es ruhen. Das hilft vielleicht. Oder auch nicht. Aber du machst alles nur noch schlimmer, wenn du jetzt keine Ruhe gibst.«
Tavi nickte. »Danke.«
»Ich erkläre dir doch immer gern das Offensichtliche, Calderon. Wenn du mich nun bitte entschuldigen würdest? Nichts bringt ein Mädchen eher in Laune, sich verführen zu lassen, als eine Hochzeit. Ich habe Pläne. Wir sehen uns bei der Zeremonie.«
»Veradis ist hier, nicht wahr?«, fragte Tavi. »Glaubst du wirklich, dass sie ihre Meinung über dich ändert, nur weil es ein gesellschaftlicher Anlass ist?«
Max grinste. »Solange ich es nicht versuche, kann ich es nicht herausfinden, oder?« Er blieb bei der Tür stehen und sagte ernster: »Ich habe sie dann und wann besucht, seit ihr Vater gestorben ist. Darauf
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