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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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die Arme. Die Fessel an ihren Handgelenken war starr wie ein Stahlband. Wieder sog sie die Luft ein. Nur der linke Nasenflügel war ein wenig geöffnet, der rechte ließ nichts durch. Nicht einmal die Augenlider konnte sie unter dem Klebeband bewegen, ihr Herz begann heftig zu pochen.
    Mit der Zunge presste sie die Lippen auseinander und drückte gegen das Band.
    »Schneller!«
    »Der Frau geht es nicht gut!« Die Stimme kam vom Domkapitular.
    »Je schneller Sie machen, umso schneller ist alles vorbei.«
    Wieder drehte sich ein Schlüssel und gleich noch einmal.
    »Und nun die hier!«
    »Aber«, Adams’ Stimme klang ehrlich überrascht, »alle Vitrinen des Codex sind doch offen.«
    Der Kleber auf ihrem Mund schmeckte nach Briefmarken. Edith schürzte die Lippen, versuchte, mit der Zunge nach oben zu drücken. Das Band gab nicht nach. Nässe könnte den Kleber lösen, aber ihr Mund war inzwischen nusstrocken.
    Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mit jedem verzweifelten Zug wurde ihr Atem kürzer und schneller.
    »Die Frau braucht Hilfe!«
    »Dann helfen Sie ihr! Machen Sie die anderen Vitrinen auf.« Den Jüngeren schien die nach Luft ringende Frau nicht zu berühren.
    »Okay!«, kam wieder die Stimme von der Tür.
    »Aufmachen!«, beharrte der andere.
    »Was wollen Sie denn damit?« Nach der Frage des Professors hörte man nur noch das jämmerliche Fiepen im Raum.
    Unter der Haut von Ediths Waden krabbelten Ameisen. Dann waren diese Viecher an ihren Unterarmen zugange. Sie vernahm ein helles Röcheln, es klang wie Schnarchen, nur viel schneller, genau in dem Rhythmus, in dem ihre Rippen den Boden berührten. Dann ging das Röcheln in ein Puffen über, wie das einer schnell fahrenden Dampflokomotive. Die Ameisen waren jetzt überall …
    »Und noch diese!«
    »Aber damit können Sie doch …« Der Domkapitular brach ab. Hastig schloss er die Vitrine auf.
     
    Erst konnte Edith das dunkle Dreieck unterhalb ihrer Augen nicht einschätzen. Etwas drückte auf ihre Nase, ihre Wangen und unter das Kinn. Jedes Ausatmen erzeugte ein Echo. Das kam von dem, was um ihre Nase und den Mund gelegt war. Durch das Klebeband über ihren Augen konnte sie nichts sehen. Aber sie spürte nun, dass jemand seine Hände, geformt wie zum Wasserschöpfen, ihr über Mund und Nase gelegt haben musste. So bekam sie ja noch weniger Luft! Aber die Ameisen waren verschwunden. Ihre Zunge berührte die Lippen. Sie konnte sie öffnen. Das Klebeband war weg. Die fremden Hände rochen leicht nach Seife. Ihr Atem gewann an Gleichmäßigkeit. Sie sog die Luft tief in den Bauchraum ein.
    Die Hände lösten sich von ihrem Gesicht.
    Durch die Augenbinde nahm sie einen Blitz wahr, dann das typische Rattern einer Polaroid, wenn ein Sofortbild ausgeworfen wurde. Was fotografierten die Diebe denn jetzt? Sie begann erst zu zählen, als es schon mindestens zwanzig Mal geblitzt hatte. Etwa beim fünfzigsten Blitz endete die Fotosession.
    *
    Bernard sah sich um. Da er nur einen schmalen Teil der leeren Straße einsehen konnte, lauschte er auf Schritte. Beide Männer bemühten sich, den verdächtigen dunklen Flecken zwischen den Baubuden auszuweichen.
    »Schmeiß den Krempel da rein!«, sagte Bernard zu seinem dicht hinter ihm gehenden Komplizen und zeigte auf einen Container.
    »Nee«, der andere lachte nervös. »Ich bin doch nicht blöd.«
    »Das war nicht ausgemacht, ich wollte nur den Codex …«
    »… ist doch alles gut gelaufen!« Der Jüngere hielt den in die dunkle Kutte gehüllten Kasten unter den linken Arm geklemmt. In dem schwachen Licht schienen seine entblößten Zähne über der hellen Jacke zu schweben.
    »Schmeiß das Zeug da rein!«
    Der Wind frischte auf, erweckte die dunklen Flecken, indem er die Oberfläche der Pfützen kräuselte.
    »Nee, gib mir das Geld, und dann bin ich weg.«
    Bernard spielte kurz mit dem Gedanken, seinem Komplizen mit vorgehaltener Waffe zu drohen, aber dann würde der Kerl womöglich später wiederkommen, um die Beute aus dem Container zu bergen.
    Er reichte ihm zwei Bündel mit je einhundert Fünfzigeuronoten hinüber. Das Paket weiter unter den Arm geklemmt, blätterte der Jüngere die Scheine durch, knickte die Bündel und presste sie in die Brusttaschen seiner Cordjacke. Er knöpfte sie mit der gleichen angestrengten Miene zu wie vor ein paar Tagen, als er die Anzahlung in gleicher Höhe erhalten hatte.
    »Sieh zu, dass du morgen pünktlich bei der Arbeit bist.« Bernard zögerte, ob er ihm zum

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