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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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nahm eine kleine Silberdose zur Hand, stellte sich neben die Bücherregale hinter dem Schreibtisch und sah mich an, während er sich eine Prise Schnupftabak zu Gemüte führte.
    »Ich finde, dass wir uns mehr Mühe geben könnten«, erklärte ich entschlossen.
    »Valdemar, nicht wahr? Der mit der Tante?«
    Ich nickte zustimmend.
    »Du entschuldigst, wenn ich gestern ein wenig ruppig zu dir war«, sagte er, »aber ich habe viel um die Ohren. Meine Zeit ist zu kostbar, um sie mit stammelnden Studenten hier in meinem Büro zu vergeuden. Du verstehst das.«
    Er nahm ein rotes Schnupftuch zur Hand.
    »Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich auf das Studium im nächsten Winter freue und besonders auf den Unterricht bei dir. Ich bin in erster Linie deinetwegen nach Kopenhagen gekommen, deinetwegen und wegen der Handschriften. Seit langem ist es mein Wunsch, mehr über sie zu lernen. Das war es, was ich sagen wollte. Auf Wiedersehen.«
    Mit diesen Worten schickte ich mich an, das Büro zu verlassen. Hinter mir schnaubte der Professor gewaltig in sein Schnupftuch, und als ich gerade die Tür hinter mir zumachen wollte, hörte ich, wie er mich zurückrief.
    »Valdemar«, sagte er. »Du hast vielleicht mehr Mumm in den Knochen, als ich gedacht habe.«
    Ich drehte mich um und ging in das Büro zurück.
    »Du sagst, du hast Interesse an Handschriften?«
    »Ja«, entgegnete ich.
    »Vielleicht tust du mir dann einen Gefallen?«, sagte der Professor, während er mit der silbernen Dose in seiner Hand spielte.
    »Was auch immer«, sagte ich.
    »Könntest du mir Passagen aus einem handschriftlichen Dokument vorlesen?«
    »Selbstverständlich«, sagte ich.
    Er holte eine Mappe aus dem Regal, öffnete sie und blätterte in den losen Papieren darin, legte sie dann aber wieder zurück und zog eine andere Mappe heraus. Als er diese öffnete, schien er zufrieden zu sein.
    »Hier, setz dich an den Tisch, und lies mir das vor«, sagte er und reichte mir die aufgeschlagene Mappe. Ich warfeinen Blick auf den Brief, der zuoberst lag, und erkannte die Handschrift sofort. Es war ein Brief von Jón Espólín, einem Annalenschreiber des 18. Jahrhunderts aus dem Skagafjörður. Ich begann zu lesen und las, ohne zu stocken, nur an einer Stelle kommentierte ich die auffälligen Häkchen bei den kleinen »s« in der Handschrift.
    Er nickte und sagte, ich könne aufhören zu lesen. Ich gab ihm die Mappe zurück. Er nahm eine andere, die er mir aufgeschlagen vorlegte, und ohne eine Sekunde zu zögern, begann ich, aus einem weiteren alten Brief vorzulesen. Diese Schrift war unleserlicher, was mir aber keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Ich las korrekt und schnell vor, was dort stand, bis er sagte, ich solle aufhören. Ich blickte zu ihm hinüber. Seiner Miene war nichts zu entnehmen, als er die Mappe wieder entgegennahm und anschließend die dritte Aufgabe für mich hervorholte. Es war wieder ein alter Brief. Ich setzte mich gerade hin und nahm das Blatt ganz behutsam zur Hand. Wesentlich bedeutendere Männer als ich hatten es im Laufe der Zeit in den Händen gehalten. Die Schrift erkannte ich sofort: ein Schreiben des Handschriftensammlers Árni Magnússon an Ormur Daðason, datiert auf 1729. Darin wurden einige der Pergamenthandschriften aufgezählt, die 1728 dem großen Brand von Kopenhagen zum Opfer fielen, als viele Kleinodien isländischer Schreibkunst verloren gingen.
    »Nun lies!«, befahl der Professor.
    Damit hatte ich keinerlei Probleme.
    »All jenes, was ich colligieret gehabet de historia literaria Islandiæ, vitis doctiorum Islandiæ …«
    Ich las wieder, ohne zu stocken, bis der Professor sagte, ich könne aufhören.
    Als ich hochblickte, stand er neben dem Schreibtisch und starrte mich an. Mir war es gelungen, ihn zu überraschen. »Wer hat dir beigebracht, Handschriften zu lesen?«
    »Das ist mir immer leichtgefallen«, entgegnete ich, und das war keine Angeberei.
    »Du kannst diese Lampe dort benutzen«, sagte er, indem er auf ein Gerät wies, das oben auf einem Bücherstapel auf der Fensterbank stand. Ich hatte von solchen Spezialgeräten gehört und wusste deswegen, dass die ultravioletten Strahlen es ermöglichten, alte Handschriften genauer zu untersuchen. Es handelte sich um sogenannte Quarzlampen, die unter anderem von der dänischen Polizei bei der Untersuchung von Fingerabdrücken verwendet wurden. Ich wusste, dass es Wissenschaftlern mit Hilfe von derartigen Lampen gelungen war, schwer erkennbare Buchstaben zu entziffern, sie

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