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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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hatten sogar obszöne Vierzeiler, die man versucht hatte zu tilgen, sichtbar machen können.
    Ich hatte nicht übertrieben, was meine Kenntnisse im Handschriftenlesen betraf. Dr. Sigursveinn war sehr verblüfft gewesen, als er feststellte, wie leicht es mir bereits zu Beginn meines Studiums an der Universität Islands fiel, alte Schriften zu lesen. Ich sagte ihm, dass ich in der Nationalbibliothek viel Zeit damit zugebracht hatte, alte Texte zu entschlüsseln. Selbstverständlich nicht unsere alten, berühmten Pergamenthandschriften, denn die befanden sich ja bedauerlicherweise alle in Dänemark, sondern diverse andere alte Texte, Briefsammlungen, alte Kirchenbücher, handgeschriebene Bücher, unter denen selbstverständlich auch Abschriften unserer alten Sagas gewesen waren. Auf diese Weise wurde allmählich ein recht gewiefter Handschriftenexperte aus mir. Alte Schriftzeichen und Schriftarten waren meine Spezialität, und mit der Zeit erwarb ich mir die nötigen Kenntnisse über die unterschiedlichen Schriften jeder Zeitepoche und konnte die meisten Schreiber mit einiger Sicherheit richtig identifizieren, beispielsweise Björn zu Skarðsá, Bischof Brynjólfur, Jón Espólín oder unseren Märchensammler Jón Árnason.
    Zwischen mir und dem Professor war so etwas wie ein Wettstreit in seinem Büro im Gange. Er testete mich mit einer Aufgabe nach der anderen, die ich vorlesen sollte, und ich gab mir alle Mühe, die alten Schriftzeichen zu entziffern. Er hatte eine ansehnliche Sammlung von alten Handschriften und Dokumenten in seinem Büro, sie waren zwar nicht von überragender historischer Bedeutung, aber vielleicht doch so speziell, dass er nicht vergessen durfte, sein Zimmer in seiner Abwesenheit abzuschließen. Die Texte, die er mir vorlegte, wurden immer schwieriger, aber ich hatte keine Probleme damit und las ihm alles, ohne zu zögern, vor.
    Eine der Pergamenthandschriften, die er in seinem Büro aufbewahrte, war ehemals im Besitz des Bistums Hólar gewesen. Einige Buchstaben darin waren völlig unleserlich, weil die Tinte mit irgendeiner Flüssigkeit in Berührung gekommen war. Vielleicht waren irgendeinem Leser Tränen gekommen, die auf das Pergament getropft waren, oder er hatte das getan, wofür der alte Finnur Jónsson bekannt war, nämlich den Finger mit Speichel zu befeuchten und damit über die Buchstaben zu reiben, wenn sie schwer zu erkennen waren. Damit konnte man zwar für einen winzigen Augenblick den Buchstaben zum Vorschein bringen, aber danach war er für immer verschwunden. Ich versuchte nach besten Kräften, die Lakunen zu füllen, und der Professor schien angetan.
    Als ich dem Professor ungefähr eine halbe Stunde lang Passagen aus den unterschiedlichsten Dokumenten vorgelesen hatte, bückte er sich in der Ecke hinter dem Schreibtisch fast bis auf den Boden. In den untersten Regalen lagen stapelweise weitere Dokumentenmappen, von denen einige mit blauen oder roten Bändern zusammengebunden waren. Unter einem solchen Stapel zog er eine dünne Mappe hervor und entnahm ihr ein altes, handgeschriebenes Dokument,eine Seite, und reichte sie mir. Ich warf einen Blick darauf: Es handelte sich um einen Brief auf gelblichem Papier, die Tinte war hellbraun, die Schriftart gotisch. Insgesamt waren neunundzwanzig Zeilen auf dem Bogen, zwischen denen genug Abstand war. Das kleine »g« hatte eine ungewöhnliche Unterlänge und einen sehr engen Kreis, die Orthographie war nicht einheitlich, die Groß- und Kleinschreibung inkonsequent, und geschrieben war der Brief mit deutscher Kurrentschrift.
    Dieser Handschrift war ich noch nie begegnet. Ich warf einen Blick auf die Unterschrift, dort stand Sveinn Jónsson.
    »Sveinn?«, sagte ich fragend.
    »Er war von 1634 bis 1637 Assistent von Professor Ole Worm hier an der Kopenhagener Universität«, erklärte der Professor. »Später wurde er Pfarrer an der Domkirche von Hólar.«
    Der Brief war einigermaßen leserlich und bereitete mir keinerlei Probleme. Darin stand unter anderem, dass Sveinn seinem ehemaligen Professor das Brynhild-Lied schicken wollte.
    Ich las den Brief bis zum Ende.
    »Die Korrespondenz von Sveinn ging vermutlich beim großen Brand von 1728 verloren«, erklärte der Professor. »Sie war drei Jahre zuvor in die Hände von Árni Magnússon gelangt.«
    »Das Brynhild-Lied ?«, fragte ich. »Ging es in diesen Briefen um den Codex Regius ?«
    »Dieser Brief stammt aus der Ole-Worm-Sammlung, die hier an der Universität aufbewahrt wird«,

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