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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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antwortete der Professor ernst. »Ich weiß nicht, ob die Kritzelei, die du da am Rand siehst, von Ole Worm selbst stammt. Es ist ein enorm schwierig zu entziffernder Kommentar, mit dem ich mich bereits seit geraumer Zeit beschäftige.«
    Er nahm den Brief wieder selbst zur Hand, ging zum Fenster und legte ihn an die Scheibe, um ihn gegen das Tageslicht zu halten. Dieser Kommentar war fast völlig verblichen. Ich hatte zwar das Gekrakel am Rand bemerkt, aber auf mich wirkte es eher wie eine Verunreinigung als wie Schriftzeichen. Es war damals genau wie heutzutage durchaus verbreitet, dass Kommentare auf den Rand von Briefen und Handschriften geschrieben wurden. Ich stand auf und ging ebenfalls zum Fenster, um mir den Brief und das Gekritzel am Rand genauer anzusehen, und bemerkte gleich zwei Buchstaben, »x« und »S«. Ich hatte den Eindruck, dass es sich um zwei Wörter handelte, aber ich war mir nicht sicher.
    Der Professor nahm die Lampe, stellte sie auf den Schreibtisch und schaltete sie ein.
    »Es handelt sich um etwas, was Worm meiner Meinung nach selbst auf Latein an den Rand geschrieben hat.«
    »Latein?«, sagte ich und starrte auf das Blatt. »Ja, das hier und das da könnten vielleicht ein ›u‹ sein und das dazwischen möglicherweise ein ›n‹.«
    »Ich glaube zu wissen, was das erste Wort ist«, sagte der Professor. »Ich tippe auf ›Codex‹.«
    »Codex?«
    Ich starrte auf das Wort, und jetzt, nachdem er das gesagt hatte, sah ich, dass da durchaus »Codex« gestanden haben konnte.
    »Was liest du aus dem zweiten Wort heraus? Konzentrier dich auf das zweite Wort.«
    »Wenn das hier Latein ist, dann kann dort möglicherweise stehen, lass mal sehen: ›S … u … n‹ … und wieder ›u‹. Ist das ›Sec‹ …?«
    »Ja? Was siehst du da?«
    »›Secundus‹«, sagte ich zögernd.
    »›Codex Secundus‹«, sagte der Professor. »Du bist zu demselben Ergebnis gekommen wie ich!«
    »Eine zweite Handschrift?«, sagte ich und blickte ihn fragend an.
    Er betrachtete mich eine Weile, schaltete dann die Lampe aus und stellte sie wieder auf die Fensterbank. Er griff wieder nach der silbernen Schnupftabaksdose, holte mit den Fingerspitzen eine Prise heraus und begann, den Tabak zu reiben, dann nahm er noch etwas mehr und rieb noch intensiver. Anschließend gab er den Tabak in die Nase und zog ihn hoch. Er ging sehr ordentlich, bedächtig und sorgfältig vor, und kein einziges Tabakskörnchen ging verloren. Zum Schluss wischte er sich mit dem Handrücken unter der Nase her.
    »Wir sind fertig für heute«, sagte er dann und wies mit der Schnupftabaksdose in der Hand in Richtung Tür.
    »Dürfte ich mich vielleicht noch erkundigen, an was Sie … da im Augenblick forschen?«, fragte ich zögernd.
    »Es ist genau wie mit der Saga von Gaukur Trandilsson«, sagte er. »Wir wissen, dass sie existiert hat und keineswegs unbedeutender war als die Saga vom weisen Njáll oder die von Egill Skallagrímsson, aber sie wurde nie gefunden. Nicht ein einziges Blatt. Nicht ein Buchstabe.«
    »Gaukur Trandilsson?«
    »Es reicht für heute«, sagte er. »Und ich meine es ernst mit dieser Siezerei. Hör auf damit.«
    »Entschuldige«, sagte ich und ging zur Tür.
    »Es gibt nur wenige, denen es gelingt, mich hier in meinem Büro zu überraschen, Valdemar«, sagte der Professor und zog sein Schnupftuch heraus, als ich im Begriff war, die Tür zu schließen. »Wer weiß, vielleicht kann man dich noch zu irgendetwas gebrauchen.«
    Er sagte das beinahe freundlich oder besser gesagt so freundlich, wie es ihm möglich war. Damit war unser Gespräch beendet. Ich verabschiedete mich von ihm und diesem geheimnisvollen Codex Secundus und zog sehr vielverwirrter ab, als ich gekommen war. Zum ersten Mal hatte ich etwas darüber erfahren, woran der Professor in den letzten zehn Jahren gearbeitet hatte. Ich wusste noch nicht, wie nahe er seinem Ziel war, aber das sollte ich noch schnell genug herausfinden.
    Als ich vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, um ihm aus den handgeschriebenen Dokumenten vorzulesen, hatte ich gesehen, dass zuoberst auf der Schreibtischplatte zwei Briefe neueren Datums aus Moskau lagen, und ich hatte ihn beim Lesen eines Buches gestört, das ich nicht kannte. Das Buch war auf Deutsch, und auf der aufgeschlagenen Seite erkannte ich sofort ein Foto einer kleinen Statue des Gottes Thor. Oben auf der Seite stand der Titel des Buchs: »Der Nationalsozialismus und das Okkulte, von Erich von Orlepp«.

Fünf
    Ich

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