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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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kann«, sagte er. »Natürlich legen wir es an seinen Platz zurück, und wir können nur hoffen, dass es in alle Zukunft dort bleiben wird. Ich wollte bloß, dass du einen Einblick bekommst, um was es sich letzten Endes dreht. Einen Einblick in diese ganze Suche und alles, was uns noch verborgen ist.«
    Ich traute mich nicht, ihn zu fragen, wieso er von diesem Blatt unter der Schreibtischschublade von Jón Sigurðsson wusste, und ich hatte immer noch keinen blassen Schimmer, was irgendein Runenzauber in Skálholt mit dem Codex Regius der Eddalieder, mit Schweden, mit Geheimbünden, Wagneriten und den Griechischkenntnissen von Bischof Brynjólfur zu tun haben sollte.
    »Dann hat also Ragnheiður Torfadóttir tatsächlich die Seiten in ihrem Besitz gehabt?«
    »Nein, eben nicht«, sagte der Professor. »Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Es hat sich herausgestellt, dass das ›R‹ mit keiner von den beiden Ragnheiður zu tun hatte.«
    Es war mir nicht mehr möglich, dem Professor zu folgen. »Und die Deutschen im Hviids Vinstue ?«
    »Ich habe diesen Joachim von Orlepp da zum ersten Mal getroffen. Er wollte mich unbedingt sehen und tat so, als wüsste er … Mein Elan hat in der letzten Zeit nachgelassen, Valdemar. Ich bin …«
    Der Professor verstummte.
    »Was wollen sie denn von dir?«, fragte ich.
    »Ich hatte befürchtet, sie hätten dieses kleine Blatt gefunden«, sagte der Professor. »Sie haben so geklungen, als seien sie schon weiter gekommen, als ich ahnte. Es kann aber genauso gut sein, dass sie mir etwas vormachen, um mich zu provozieren.«
    »Weitergekommen mit was?«, fragte ich.
    »Das sage ich dir vielleicht später. Grauenvoll, dass man es mit diesen verfluchten Wagneriten zu tun hat. Sag mir eins, Valdemar. Weißt du etwas über die Russen?«
    »Russen?«
    »Russen, die in den Westen geflohen sind.«
    »Was soll mit denen sein?«
    »Ich versuche, einen von ihnen aufzuspüren«, erklärte der Professor, »aber das ist schwierig und auch zeitraubend.« »Und was ist mit Gaukur Trandilsson, bist du dann überhaupt nicht auf der Suche nach seiner Saga?«, fragte ich völlig verwirrt.
    »Wie bist du denn auf diese Schnapsidee gekommen?«, fragte der Professor erstaunt und stieß die Lade mit dem Runenblatt im Geheimfach schwungvoll wieder zu.

Sieben
    Damals wusste ich nicht sehr viel über die Lücke im Codex Regius . Es handelte sich um einen Bogen mit acht Seiten der Handschrift, auf denen unter anderem neun Strophen aus dem Sigrdrífa-Lied standen. Diese Strophen sind allerdings in Abschriften vorhanden. In der Forschung wurde lange darüber gerätselt, wann die Lücke entstanden war, aber dabei handelte es sich durchweg um ziemlich abwegige Spekulationen. Bedauerlicherweise weiß man nichts darüber, wie der Codex im Laufe der Jahrhunderte aufbewahrt wurde, von dem Zeitpunkt an, als die Handschrift im dreizehnten Jahrhundert entstand, bis sie eines Tages im siebzehnten Jahrhundert in Skálholt auftauchte. Derartige Geschichtslücken gibt es durchaus häufiger, und nicht selten haben die Forscher mit einer unglaublichen Gedankenakrobatik versucht, sie zu füllen.
    Man darf nicht vergessen, dass der Professor als eine der größten Koryphäen auf diesem Gebiet galt. Es war seine Passion herauszufinden, welche Geheimnisse hinter solchen Lücken steckten, und sie mit der alten, verloren gegangenen Bedeutung zu füllen. Es hatte den Anschein, als hätte diese Leidenschaft ihn zu dem Zeitpunkt, als ich ihn in Kopenhagen kennenlernte, auf die Spur der verschollenen Seiten des Codex Regius geführt – und ihn in eine schlimmere Zwangslage gebracht, als ich mir jemals hätte vorstellen können.
    Manchmal muss ich daran denken, wie resigniert der Professorwar, als ich in seinem Leben auftauchte, und wie sein Alkoholmissbrauch überhandgenommen hatte. Die Geschichten, die ich über ihn aus der Zeit vor dem Krieg gehört hatte, drehten sich alle um einen herausragenden Wissenschaftler, einen genialen Analytiker und einen scharfsinnigen, kritischen Geist, der einen unerschütterlichen Glauben an den Wert der alten Schriften hatte. Als ich ihn kennenlernte, sah er abgehärmt und mitgenommen aus, dem Alkohol verfallen, reizbar, nahezu arbeitsunfähig und in seine eigene Welt voller Misstrauen, Wut und sogar Hass auf etwas Hochkompliziertes und Unverständliches versponnen, das bei ihm unter dem Begriff »Wagneriten« zusammengefasst war. Ich sollte später besser verstehen lernen, weshalb es so um diesen großen

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