Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
Victor hatte ein sehr exklusives und nicht sehr bekanntes Antiquariat in Charlottenburg, das nur von Kennern frequentiert wurde. Er ist auf jeden Fall der Einzige, der durch den Verkauf von alten Büchern reich geworden ist. Ich glaube, er lebt nicht mehr. Katharina Berg führt das Geschäft weiter. Das Antiquariat gibt es nämlich immer noch, aber es ist jetzt woanders und heißt ›Charlottenburger Antiquariat‹. Das macht was her.«
Ich sah den Professor an, der mir zu verstehen gab, dass er dieses Antiquariat nicht kannte. Wir bedankten uns bei Henning Klotz. Der Schnaps hatte ihn munter gemacht, und nun wollte er uns unbedingt weitere interessante Objekte aus seiner Sammlung zeigen, die mit Island zu tun hatten, aber wir erklärten, wenig Zeit zu haben. Endlich kamen wir los, ohne allzu unhöflich zu sein, der Professor mit seinem Nonni in der Tasche.
Das »Charlottenburger Antiquariat« war von außen recht unscheinbar. Es befand sich im Souterrain eines Neubaus, der noch gar nicht ganz fertiggestellt war. Maler strichen die oberste Etage von außen an, und ich hatte den Eindruck, dass auch innen im Haus noch Handwerker bei der Arbeit waren.
Wie in allen Antiquariaten hing ein schwerer Geruch von vergilbtem Papier und Buchdeckeln, alten Zeitschriften und prall gefüllten Bücherschränken in den Räumen. Zwischen den Regalen standen ein paar Kunden und sahen sich Bücher an, zogen sie aus den Regalen, öffneten sie behutsam und strichen über die Seiten. An einer kleinen Theke ganz hinten im Geschäft saß eine Frau um die vierzig und registrierte die Bücher in einem Stapel, der vor ihr lag.
»Frau Katharina Berg?«, fragte der Professor.
Die Frau blickte von ihrer Beschäftigung hoch, betrachtete uns eingehend und nahm ihre Brille ab.
»Sie ist nicht hier«, sagte sie abweisend.
»Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«, fragte der Professor. »Und wer sind Sie, mit Verlaub?«
»Wir kommen aus Island und würden sie gern sprechen.« »Kennt sie Sie?«
»Nein.«
»Worum geht es?«
»Geschäftliche Dinge selbstverständlich«, sagte der Professor.
Die Frau zögerte einen Augenblick, bat uns aber dann zu warten und verschwand durch eine Tür ganz hinten im Laden. Der Professor begann, sich umzuschauen, und ich tat es ihm nach. Soweit ich sehen konnte, handelte es sich bei den Büchern zumeist um alte deutsche Ausgaben.
Die Frau mit der Brille kehrte zurück und sagte, dass Frau Berg bereit sei, uns zu empfangen. Sie lebte in der Wohnung über dem Antiquariat, und die Frau sagte uns, dass wir entweder, so wie sie, durch den Laden gehen könnten oder wieder auf die Straße hinausmüssten, um an der Haustür zu klingeln. Wir gingen durch den Laden.
Katharina Berg schien alleine zu leben und nicht sehr viel für Tageslicht übrig zu haben. In der Wohnung war es so dämmrig, als sei es bereits Abend. Die schweren Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, sodass kaum ein Lichtstrahl von draußen hereindrang. Sie empfing uns in einem Salon, in dem einige Kerzen brannten. Der Professor stellte uns vor, und sie reichte uns zur Begrüßung eine kraftlose Hand. Sie war blond, hatte ein rundliches Gesicht mit vollen Lippen, einer markanten Nase und großen, seltsam leblosen Augen. Sie trug ein geschmackvolles grünes Kleid. Eine klobige Holzkrücke stand gegen ihren Sessel gelehnt.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, sagte der Professormit ausgesuchter Höflichkeit. Ich war sehr erstaunt, wie leicht ihm an diesem Tag das Siezen fiel.
»Sie ließen ausrichten, dass Sie geschäftlich mit mir sprechen wollen«, sagte Frau Berg.
»Das ist richtig«, sagte der Professor, »aber zunächst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie die Güte hatten, uns zu empfangen.«
»Man kann sich wohl kaum verweigern, wenn Leute extra aus dem fernen Island angereist kommen«, sagte Frau Berg. »Was wollen Sie von mir? Es geht doch um geschäftliche Dinge, oder nicht?«
»Doch, in gewissem Sinne«, sagte der Professor.
Frau Berg sah ihn fragend an.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie ganz direkt frage«, sagte der Professor, »aber ich hätte zu gern gewusst, ob Sie sich an einen Mann namens Erich von Orlepp erinnern, einen Sammler, der sich auf alte Handschriften aus Nordeuropa spezialisiert hatte.«
Katharina Berg gab ihm keine Antwort.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass er einiges aus seiner Sammlung gegen Ende des Kriegs, vielleicht sogar nachdem Berlin eingenommen worden war, veräußert hat«, sagte der
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