Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
eingefallene Gesicht mit dem weißen, zerzupften Spitzbart schauten aus den dicken Kissen heraus. Katharina Berg deutete auf einen Stuhl neben dem Bett, und der Professorsetzte sich. Der alte Mann hielt die Augen geschlossen, sodass es den Anschein hatte, als schliefe er, aber dann öffneten sie sich, und er sah sich matt um.
»Katharina, bist du da?«, fragte er. »Meine arme Katharina.«
»Hier sind die Männer, die nach dem Buch gefragt haben«, sagte seine Tochter zu ihm.
Der alte Mann drehte den Kopf und sah den Professor lange an.
»Sie kommen aus Island?«, fragte er so leise, dass wir es kaum hören konnten.
Der Professor nickte.
»Sie suchen nach einem Buch«, sagte der alte Mann.
»Ja«, sagte der Professor.
»Von Orlepp hat versucht, mir den Codex Regius zu verkaufen, als der Krieg verloren war«, sagte der alte Mann.
Der Professor warf mir schnell einen Blick zu und lehnte sich dann vor, um den Sterbenden besser zu verstehen.
»Ich hatte nicht …«
Victor Berg machte eine Pause. Seine Tochter verfolgte besorgt, was vor sich ging. Ich wusste, dass der Professor nicht viel Zeit hatte. Katharina Berg würde dieses Gespräch beim geringsten Anlass unterbrechen.
»Ich konnte es nicht bezahlen«, fuhr der Sterbende fort. »Er verlangte eine unerhörte Summe.«
»Wieso wissen Sie, dass es sich um den Codex Regius handelte?«, fragte der Professor.
»Er gestattete mir, darin zu blättern«, sagte Victor Berg.
»Er hatte die Handschrift also dabei?«
»Ja.«
»Weißt du, was aus ihr wurde?«
Der Professor war derartig erregt, dass er das Siezen vergaß.
»Ich hatte damals einfach nicht die nötigen Mittel«, sagteVictor Berg. »Und später auch nicht. Von Orlepp verlangte einen unverschämten Preis dafür.«
»Das Buch hat einen unermesslichen Wert.«
»Er behauptete, es in Island bekommen zu haben«, sagte der alte Mann.
»Das ist eine Lüge. Er hat es in Dänemark gestohlen.«
Victor Berg blickte seine Tochter an. Er schien am Ende seiner Kräfte zu sein.
»Jetzt ist aber Schluss«, sagte Katharina Berg. »Er braucht seine Ruhe.«
»Weißt du, ob er mit der Handschrift noch zu jemand anderem gegangen ist? Mit wem er sonst noch geredet hat?«, fragte der Professor rasch.
»Sprechen Sie mit Färber. Der kann Ihnen vielleicht helfen. Ich weiß, dass die beiden geschäftlich miteinander zu tun hatten.«
»Färber?«, fragte der Professor. »Meinst du Hinrich Färber in der Neufertstraße?«
Der alte Mann schloss seine Augen wieder.
»Ist es der Färber?«, insistierte der Professor.
»Jetzt muss es ein Ende haben«, sagte Katharina Berg entschlossen und trat einen Schritt vor. Der Professor sah sie an und dann wieder den Sterbenden, der eingeschlafen zu sein schien. Dann erhob er sich langsam.
»Ich hoffe sehr, dass es Ihren Vater nicht zu sehr angestrengt hat«, sagte er zu Katharina Berg.
»Es geht zu Ende mit ihm«, antwortete sie und ging mit uns durch den Flur zurück in den Salon.
»Wer ist dieser Färber?«, fragte ich den Professor.
»Ganz bestimmt hat er Hinrich Färber gemeint«, sagte Frau Berg. »Sie waren lange Zeit Konkurrenten, mein Vater und er.«
»Mit Färber habe ich gesprochen, als ich direkt nach dem Krieg hier in Berlin nach der Handschrift gesucht habe«,sagte der Professor. »Er behauptete, nichts über isländische Pergamenthandschriften zu wissen und nichts darüber gehört zu haben, dass der Codex Regius in Berlin auf dem Markt sei.«
»Kann er nicht gelogen haben?«, fragte ich.
»Das werden wir herausfinden«, sagte der Professor.
»Viel Erfolg dabei«, sagte Katharina Berg, auf ihre Krücke gestützt. »Ich hoffe sehr, dass wir Ihnen weiterhelfen konnten.«
»Und wie!«, sagte der Professor.
»Leider musste ich dieses Gespräch abbrechen. Sie haben gesehen, dass Besuche meinem Vater furchtbar zusetzen.« »Ja, gewiss«, sagte der Professor. »Und entschuldigen Sie noch einmal die Störung. Es tut mir außerordentlich leid, Sie in dieser schwierigen Situation behelligt zu haben.« »Er ist sehr schwach, und ich weiß, dass er mehr Qualen leidet, als er zugeben will.«
Sie sagte das so, dass sogar ich, der ich nicht sonderlich gut in der deutschen Sprache war und vor allem die feineren Nuancen oft nicht mitbekam, den Eindruck gewann, dass es ebenso ihr Schicksal war, ihre Qualen im Stillen zu ertragen. Ich spürte, dass der Professor genau das gleiche Gefühl hatte, und einen Augenblick senkte sich Schweigen über den verdunkelten Raum. Der
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