Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
Bauer hatte uns ein reichliches Frühstück bereitet, mit Brötchen und Sauerteigbrot, und ich hatte den Eindruck, als sei ihr etwas leichter ums Herz als am Abend zuvor.
Sie wollte etwas mehr über mich wissen, und ich erzählte ihr von meinem Studium an der Universität Kopenhagen und davon, wie der Professor und ich uns kennengelernt hatten. Ich erwähnte weder seine Alkoholexzesse noch die Tatsache, dass er im Begriff war, seinen Lehrstuhl an der Universität zu verlieren, und erst recht nicht, dass ihm die wertvollste isländische Handschrift gestohlen worden war. Frau Bauer merkte, dass ich etwas zurückhaltend war, und sagte, wir Isländer seien doch alle gleich, schweigsam und unzugänglich. Ich nickte lächelnd.
Ich fragte sie im Gegenzug danach, wie sie den Professor kennengelernt hatte. Er hatte nämlich das Haus für einen Augenblick verlassen und gesagt, er würde gleich wiederkommen. Frau Bauer erklärte, sie würde ihn schon seit vielen Jahren kennen, schon aus Zeiten, bevor Gitte in sein Leben getreten war. Ihr verstorbener Mann hatte auch in Kopenhagen studiert, er beherrschte Isländisch, hatte isländische Literatur ins Deutsche übersetzt und außerdem an der Universität in Berlin unterrichtet. Der Professor war ein häufiger Gast in ihrem Haus gewesen und Gitte auch, nachdem die beiden geheiratet hatten.
»Sie war eine liebenswerte Frau«, sagte Frau Bauer. »Er hat ihren Tod nie verwunden.«
»Und Sie haben Ihren Mann verloren«, sagte ich.
»Alle haben jemanden verloren«, sagte Frau Bauer.
»Es wurde behauptet, dass er eine Zeit lang auf Seiten der Nazis gestanden hat«, sagte ich, »der Professor, meine ich.« »Das hat er nie«, erklärte Frau Bauer. »Er hat die Nationalsozialisten immer gehasst.«
»Und Sie und Ihr Mann?«
Sie sah mich an, und ich errötete. An ihrer strengen Miene konnte ich sehen, dass ich zu weit gegangen war. Was ging das einen jungen Spund aus Island an?
»Wir haben zu spät gesehen, worauf es hinauslief«, sagte sie.
Wir schwiegen eine Weile.
»Hat er Ihnen gesagt, was er im Krieg erlebt hat?«
»In Dänemark? Er hat mir von seiner Verhaftung erzählt und von dem dänischen Mädchen, das vor seinen Augen ermordet wurde.«
»Wissen Sie, was die Nazis von ihm wollten?«
»Er war in der Widerstandsbewegung aktiv«, sagte Frau Bauer. »Es war ein Glück für ihn, dass die Engländer einen Luftangriff auf das Hauptquartier der Nazis machten.«
»Und Sie wissen Bescheid über diesen von Orlepp?«
»Er hat mir von dem Mann erzählt.«
»Und weshalb er ihn finden will?«
»Er möchte, dass von Orlepp seine Strafe erhält. Ich glaube nicht, dass bei ihm etwas anderes dahintersteckt. Der Professor ist sein ganzes Leben so gewesen, hartnäckig und unversöhnlich. Er vergisst nichts. Und er hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl.«
Ich nickte zustimmend. Er hatte also seiner Freundin nichts vom Codex Regius gesagt oder ihr, falls er es doch getan hatte, eingeschärft, das nicht zu verraten.
»Sonst noch etwas?«, fragte sie. Ihre Neugier schien geweckt zu sein. »Weshalb fragst du mich danach?«
»Ich kenne ihn so wenig«, beeilte ich mich zu versichern. »Er redet nicht viel über sich selbst.«
»Nein, das ist nicht seine Art«, sagte Frau Bauer. »Er muss aber ein guter Lehrer sein. Er hat immer dieses Bedürfnis gehabt, zu forschen und Wissen weiterzugeben.«
»Er ist ein hervorragender Lehrer«, sagte ich.
In diesem Augenblick kehrte der Professor mit einem kleinen Blumenstrauß zurück, den er auf einem Markt in der Nähe gekauft hatte, und überreichte ihn Frau Bauer. Sie bedankte sich bei ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der Professor sah etwas verlegen zu mir herüber. »Wir sind seit langer Zeit befreundet«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte ich.
An diesem Tag führte uns unsere Suche auch zu Charlottenburgs berühmtester Straße, dem Kurfürstendamm. Zehn Jahre vorher war sie völlig zerstört worden, aber inzwischen war vieles wieder aufgebaut worden, und mit neuen Gebäuden erhielt die Straße ein anderes, neuzeitlicheres Gepräge. Nach der Teilung Berlins in Ost und West beschloss man, den Kurfürstendamm zur Hauptgeschäftsstraße im Westen zu machen. Als Mahnmal an die Schrecken des Krieges blieb die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stehen. Der Professor und ich standen davor und schauten an der Turmruine hoch. Der Professor schüttelte den Kopf.
»Wozu?«, hörte ich ihn murmeln.
Frau Bauer hatte ihm einen Schal
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