Coe, David B. - Die Chroniken von Amarid 01 - Der Fluch des Magiers
zu deutlich gemacht, wie er empfand; Jaryd würde bei ihm keinen Trost finden.
Also wartete er. Der Winter lockerte schließlich seinen eisigen Griff und wich dem Regen, und immer noch hatte Jaryd keine weiteren Visionen gehabt. Dann, kurz nach dem Ende der Regenzeit, in einer klaren Mondnacht, träumte Jaryd wieder. In einem Alptraum, der noch viel erschreckender und realer war als die vorangegangenen, sah Jaryd, wie die Stadt von berittenen Banditen angegriffen wurde, von Männern mit narbigen, schmutzigen Gesichtern, die Wämser aus Leder trugen und riesige Krummschwerter, Lanzen und Keulen schwangen. Sie plünderten die Häuser von Accalia, und dann begannen sie, die Männer der Stadt zu töten und die Frauen zu vergewaltigen. Jaryd sah zu, wie sein Vater von einem einzigen Streich eines Krummsäbels enthauptet wurde. Er sah Royden fallen, mit einem Speer in der breiten Brust und aus der Wunde spritzendem Blut. Er sah zu, wie seine Mutter und mehrere andere Frauen von zwei Reitern gejagt wurden. Und dann sah er sich selbst, wie er starr dastand und alles beobachtete. Und noch während er zusah, öffnete der Traum-Jaryd den wutverzerrten Mund und stieß einen Schrei aus; dann hob er einen seltsamen Stab, aus dem eine mörderische saphirblaue Flamme auf die Männer zuraste, die seine Mutter verfolgten, und die Banditen verschlang. Der Traum-Jaryd schleuderte dieses Feuer dann auch auf andere Feinde, vernichtete sie schließlich vollkommen und rettete, was von dem Dorf noch zu retten war.
Wieder einmal erwachte Jaryd schweißnass und atemlos.
Eine Kerze brannte, und Royden saß neben ihm, mit finsterer Miene und besorgtem Blick.
Jaryd blieb einen Augenblick lang ruhig liegen und sah zu, wie das Licht der Kerze über die Wand neben dem Bett tanzte. Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Dann drehte er sich um und lächelte Royden müde an. »Hab ich dich wieder geweckt?«, fragte er, und er musste sich anstrengen, diese Worte überhaupt hervorzubringen. »Tut mir Leid«, fügte er hinzu, als sein Bruder nickte. »Hattest du wieder so einen Traum?« Diesmal war es an Jaryd zu nicken. Er setzte sich auf und trank einen Schluck Wasser aus dem Becher auf seinem Nachttisch. »Jetzt bin ich bereit, es den Leuten zu sagen«, erklärte er und wischte sich eine schweißnasse Haarsträhne aus der Stirn. »Ich kann nicht anders - Banditen sind auf dem Weg hierher.«
»Bald schon?«, fragte Royden angespannt.
»Ja. Ich nehme an morgen Abend. Zumindest hat es nach Abenddämmerung ausgesehen.«
Jaryd beschrieb seinen Traum, obwohl er dabei seine eigenen Taten ausließ. Er musste über diesen Teil seiner Vision noch nachdenken, bevor er mit anderen darüber sprach. Als Jaryd damit fertig war, Royden den Traum zu erzählen, fiel schon das erste Morgenlicht durchs Schlafzimmerfenster. Royden und Jaryd zogen sich an und gingen ins Zimmer ihrer Eltern, wo sie Bernel und Drina weckten, um ihnen von Jaryds Vision zu erzählen, und von den anderen, die er zuvor gehabt hatte. Der Schmied und seine Frau lauschten schweigend, und noch lange, nachdem die Brüder ihre Geschichte beendet hatten, schwiegen die Eltern. Drina saß beinahe reglos im Bett, starrte ihre sonnengebräunten Hände an und schob sich manchmal mit der für sie so charakteristischen Geste das Haar aus der Stirn. Bernel, der zum Fenster gegangen war, als Jaryd seinen Traum beschrieb, stand immer noch dort, und sein Kopf zeichnete sich gegen das Morgenlicht nur als Silhouette ab, so dass man seine Miene nicht erkennen konnte. »Nun ist es also geschehen, genau wie er es angekündigt hat«, sagte Drina schließlich leise, mehr zu ihrem Mann als zu ihren Söhnen.
»Genau wie wer es angekündigt hat?«, fragte Jaryd und sah erst seine Mutter, dann seinen Vater an.
Bernel wandte sich Drina zu, und sein breiter Rücken verdeckte den größten Teil des Lichts. »Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen«, sagte er, und es lag Endgültigkeit in diesen Worten.
»Aber Papa ...»
»Jetzt nicht, Jaryd! Es gibt im Augenblick Wichtigeres zu tun. Wir müssen die anderen warnen und uns darauf vorbereiten, dass deine Vision sich erfüllen könnte.«
»Bernel«, erwiderte Jaryds Mutter, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Wir wissen beide, dass er die Wahrheit prophezeit. Wir haben es gewusst...«
»Das genügt, Drina!«, fauchte Bernel. Er schloss die Augen und holte tief Luft, bevor er sanfter fortfuhr: »Wir werden später darüber reden, das verspreche ich euch. Aber
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