Coe, Jonathan
ihn mit ziemlicher Sicherheit langweilten, wenn nicht gar
peinlich berührten.
Es begann alles mit den
Worten: »Wissen Sie eigentlich, was Sie für ein Glück haben, in Sydney zu
leben? Eine erstaunliche Stadt. Was für ein Kontrast zu der Stadt, in der ich
lebe ...«
Ich machte eine Pause, um ihm
die Zeit zu geben, pflichtbewusst zu fragen: »Sie leben nicht in London?«
»Nein, nicht direkt in London.
Watford.«
»Ah, Watford«, wiederholte er.
Schwer zu entscheiden, ob er das Wort jetzt in Neugier, Abfälligkeit,
Wohlwollen oder etwas anderes gekleidet hatte.
»Waren Sie schon mal in
Watford?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nicht, dass ich wüsste. Ich war in ein paar Großstädten. Paris. New York.
Buenos Aires. Rom. Moskau. In Watford noch nicht, warum auch immer.«
»Über Watford ließe sich viel
erzählen«, erklärte ich mit etwas trotzigem Unterton. »Was zum Beispiel nicht
viele wissen, ist, dass wir eine Partnerschaft mit Pesaro unterhalten, einer
sehr hübschen Stadt an der adriatischen Küste.«
»Na, diese Ehe muss im Himmel
gestiftet worden sein.«
»Manchmal frage ich mich
allerdings«, fuhr ich fort, »warum ich eigentlich in Watford gelandet bin. Ich
stamme aus Birmingham, müssen Sie wissen. Es hat wohl etwas mit dem Job zu
tun, den ich vor ein paar Jahren bekam, bei einer Spielzeugfirma mit Sitz in St
Albans, und das liegt nicht weit von Watford, wie Ihnen vielleicht bekannt ist.
Oder auch nicht. Jedenfalls liegen die beiden Städte nah beieinander. Das ist
ganz praktisch, wenn jemand mal aus irgendeinem Grund von dem einen Ort in den
anderen muss. Wohlgemerkt, kaum war ich nach Watford gezogen, hab ich bei
dieser Firma aufgehört, was eigentlich paradox ist, wenn man drüber nachdenkt,
weil ich danach in einem Kaufhaus in Ealing angefangen habe, und das ist weiter
weg von Watford als St Albans. Nicht viel weiter weg, verstehen Sie, man ist ... na ja,
vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten länger unterwegs, wenn man das Auto
nimmt. Was ich normalerweise auch mache, weil es doch etwas kompliziert ist,
mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Watford nach Ealing zu kommen. Erstaunlich
kompliziert, eigentlich. Aber ich bin beim besten Willen nicht traurig darüber,
den Job angenommen zu haben - den Job in Ealing, meine ich -, denn dadurch habe
ich Caroline kennengelernt, meine Frau. Also, meine Exfrau, um genau zu sein,
weil wir uns nämlich vor ein paar Monaten getrennt haben. Na ja, eigentlich war
es wohl eher so, dass sie nicht mehr mit mir zusammenleben wollte. Und das ist
auch ganz okay, wissen Sie, es ist schließlich ihr gutes Recht, man muss eine
solche Entscheidung respektieren, oder etwa nicht? Und sie ist ... verstehen
Sie, sie ist jetzt sehr glücklich, unsere Tochter Lucy ist bei ihr, sie sind
zurück in den Norden gezogen, und darüber scheint sie froh zu sein, denn aus
irgendeinem Grund, den ich nicht kenne, hat es Caroline in Watford wohl nie so
recht gefallen; sie ist nie richtig glücklich dort gewesen, was ich irgendwie
bedaure, weil, verstehen Sie, irgendetwas Gutes lässt sich doch an jedem Ort
finden, nicht wahr? Das muss ja nicht heißen, dass man, wenn man in Watford
lebt, jeden Morgen aufwacht und sich sagt, Ach, was für ein Scheißleben, aber
sehen wir's mal positiv, wenigstens darf ich es in Watford führen, und man kann
auch nicht behaupten, dass Watford zu den Städten gehört, die einem allein
durch die Tatsache, dass man in ihnen lebt, ausreichende Gründe zum Weiterleben
liefern, das wäre wohl etwas zu dick aufgetragen, aber immerhin hat Watford
eine ausgezeichnete Bibliothek, und es hat den Harlequin, ein nagelneues
Shoppingcenter mit ein paar hammermäßigen ... absolut hammermäßigen
Fabrik-Outlets, und dann gibt es noch das Walkabout, das ist ... na ja ... so
eine Art Themenbar, vor der ein großes Schild steht, auf dem sie einem den
»wahren Spirit Australiens« versprechen, aber, um ehrlich zu sein, wenn man
dann drinnen ist, hat man eigentlich nicht das Gefühl, in Australien zu sein,
weil man ja nie so ganz vergessen kann, dass man in Watford ist, aber für
einen, der so gerne in Watford lebt wie ich, ist das ja auch in Ordnung, ich
meine, manche Menschen sind zufrieden mit dem, was sie haben, das ist doch so,
und ich kann daran nichts Schlechtes finden, auch wenn ich nicht sagen könnte,
dass es schon immer mein innigster Wunsch gewesen ist, in Watford zu leben,
jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass mein Vater mich mal auf den Schoß
genommen
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