Coe, Jonathan
Ankunftshalle führte. Für
eine Weile musste die Stewardess neben mir hergegangen sein. Sie sagte etwas
wie: »Alles in Ordnung, Sir? Sollen wir Ihnen jemanden zur Begleitung
mitgeben?«, aber meine Antwort klang wohl so beruhigend, dass sie mich mir
selbst überließ.
Ein paar Minuten waren
vergangen. Ich hätte nicht mit Sicherheit sagen können, wo ich sie verbracht
hatte, aber nach einer Weile wurde mir bewusst, dass ich in einem Cafe am Tisch
saß, in einer stickigen, feuchten Wärme, um mich herum lauter Läden, die die
vertrauten Namen globaler Marken trugen und durch die Horden von Passagieren
schlenderten - in der Jetlagtypischen Benommenheit schlängelten sie sich,
abwesend wie Schlafwandler, mit glasigen, blicklosen Augen zwischen Regalen
und Tresen und Drehständern hindurch. Ich warf einen Blick auf die Flüssigkeit
in meiner Kaffeetasse und meinte eine Art von Cappuccino zu erkennen, den ich
offensichtlich selber bestellt und bezahlt hatte. Ich steckte einen Finger
zwischen Hals und Hemdkragen und wischte den Schweißring fort, der sich dort
gesammelt hatte. Damit war ich noch beschäftigt, als eine einzelne Gestalt
zwischen den somnambulen Shoppern meinen Blick auf sich zog. Es war eine junge
Frau von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, die mir auf den ersten Blick
sonderbar erschien. Ich bin kein übermäßig spiritueller Mensch, aber das Erste,
was ich an dieser Frau wahrnahm - oder wahrzunehmen meinte -, war ihre äußerst
farbenprächtige Bluse. Tatsächlich hatte wohl dieser Ausbruch an Farben, der
sie wie ein gleißend loderndes Signalfeuer aus den anderen Passagieren
hervorhob, zuerst meine Aufmerksamkeit erregt und mich aus meinem aktuellen
depressiven Loch hervorgeholt. Als ich sie mir dann genauer ansah, waren die
Farben ihrer Kleider gar nicht so ungewöhnlich, und was ich an ihr als so
farbenfroh empfunden hatte, musste von innen gekommen sein, eine Art helle,
leuchtende Aura. Ob es so etwas wirklich gibt? Noch während ich sie
beobachtete, verflüchtigte sich die Aura, verblasste immer mehr, aber die Frau
behielt etwas Verlockendes, Betörendes. Zum einen besaß sie, während die
Menschen um sie herum wie in einer Art kollektiver Hypnose immer langsamer
umherwandelten, eine gewisse Zielstrebigkeit. Eine irgendwie etwas lauernde
Zielstrebigkeit. Sie bewegte sich von Ladentür zu Ladentür, um Nonchalance
bemüht, und ließ die Blicke dabei so oft und wachsam hin und her schießen, dass
ich sie zuerst für eine Ladendiebin hielt. Diese Theorie musste ich jedoch bald
wieder fallenlassen, weil sie nicht einen einzigen der Läden betrat. Gekleidet
war sie auf eher männliche Art, mit einer blauen Jeansjacke, die mir für die
Hitze viel zu warm schien, und das Haar trug sie auf eine Weise kurzgeschnitten
und jungenhaft, wie ich es schon immer besonders sexy fand. (Alison, zum
Beispiel - Chris Byrnes Schwester Alison -, war ein ähnlicher Typ, auch wenn
sie, als ich sie vor ungefähr fünfzehn Jahren zum letzten Mal gesehen habe, die
Haare lang trug.) Ich denke, die Haarfarbe dieser Frau könnte man rötlich
nennen oder vielleicht rotblond. Gut möglich, dass sie mit etwas Henna nachgeholfen
hatte. Das entscheidende Attribut war jedenfalls die Jacke, denn nach einer
Weile begann ich zu vermuten, dass sie sie trug, weil sie darunter etwas
verbarg. Zu dem Schluss kam ich, nachdem ich sie eine Minute oder länger
beobachtet hatte, so unverfroren, vermute ich, dass sie inzwischen aufmerksam
geworden war und mir ein, zwei besorgte oder verärgerte Blicke zugeworfen
hatte. Betreten wandte ich den Blick von ihr ab, richtete ihn in meine jetzt
vollends leere Kaffeetasse und versuchte, mich auf etwas anderes zu
konzentrieren - in dem Fall eine Durchsage über die Lautsprecheranlage:
»Willkommen in Singapur. Passagiere auf der Weiterreise werden höflichst darauf
aufmerksam gemacht, dass im gesamten Terminal das Rauchen untersagt ist. Wir
bedanken uns für Ihr Verständnis und wünschen Ihnen eine angenehme Weiterreise.«
Als ich das nächste Mal hinüberschaute, fing sie meinen Blick wieder auf, aber
diesmal kam sie zu mir herüber, schlängelte sich durch den Strom der
Passagiere, bis sie vor meinem Tisch stand.
»Sind Sie ein Polizist oder
was?«, fragte sie.
Sie sprach mit britischem
Akzent. Eigentlich gepflegt, aber mit dem leisen Cockney-Touch, den sich junge
Leute heutzutage anscheinend nicht mehr verkneifen können.
»Nein«, sagte ich. »Nein, ich
bin kein Polizist.« Ohne darauf zu
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