Coelho,Paul
überhaupt nicht hilfreich. Und sie dachte wie Argeies - dass er alles wusste, dass er wusste, wie man das zum Aufhören brachte.
»Beschäftige deinen Geist!«,
schrie er geradezu besessen. »Zähle, wie viele Platten du hast! Und wie viele
Bücher!«
Sie schaute ihn verständnislos an.
Und ging wie ein Roboter auf das Regal zu.
Aber sie schaffte es nicht bis
dorthin. Unvermittelt warf sie sich zu Boden.
»Ich will meine Mama«, sagte sie
immer wieder leise. »Ich will meine Mama...«
Er auch. Er hätte ebenfalls gern
seine Eltern angerufen, sie um Hilfe gebeten - seine Eltern, die er nie
besuchte, die einer bürgerlichen Gesellschaft angehörten, von der er sich vor
langer Zeit losgesagt hatte. Er versuchte, das Besteck weiterzuzählen, aber da
war sie, flennte wie ein Kind, raufte ihr Haar.
Das war zu viel. Er trug die
Verantwortung für das, was da geschah, denn er liebte sie. Schließlich hatte er
ihr doch alle Rituale beigebracht, ihr versprochen, dass sie alles bekommen
würde, was sie wollte, dass alles mit jedem Tag besser werden würde, obwohl er
selbst keinen einzigen Augenblick daran geglaubt hatte! fetzt bettelte sie um
Hilfe, vertraute ihm - und er wusste nicht, was er machen sollte.
»Hilf du mir!«, flehte er. »Ich
weiß nicht, was ich tun soll.«
Daraufhin war er in Tränen
ausgebrochen.
Er weinte vor Angst, wie einst als
Kind. Genau wie sie sehnte er sich seine Eltern herbei. Er hatte kalte
Schweißausbrüche und war überzeugt, dass er sterben würde. Er nahm sie bei der
Hand, auch ihre Hände waren eiskalt und ihre Kleidung schweißnass. Er ging ins
Badezimmer, um das Gesicht zu waschen - das hatten sie immer getan, wenn die
Wirkung der Drogen zu stark gewesen war. Vielleicht funktionierte das auch
»bei dem hier«. Der Flur dehnte sich endlos, das »Ding« war jetzt stärker - er
konnte jetzt keine Platten, Bücher, Bleistifte, Bestecke mehr zählen. Es gab
kein Entkommen mehr.
>Fließendes Wasser.<
Der Gedanke kam aus einer anderen
Ecke seines Hirns, einem Ort, zu dem die Dunkelheit nicht vorzudringen schien.
Fließendes Wasser! Ja, es gab die Macht der Finsternis, das Delirium, den
Wahnsinn - aber es gab auch andere Dinge!
»Fließendes Wasser«, sagte er,
während beide ihr Gesicht wuschen. »Fließendes Wasser vertreibt das Böse.«
Sie spürte die Gewissheit in
seiner Stimme. Er wusste es, er wusste alles. Er würde sie retten.
Er drehte die Dusche auf, und sie
stellten sich beide darunter - vollständig bekleidet, inklusive Ausweise und
Geldscheine. Das kalte Wasser rann über sie, und zum ersten Mal, seit er
aufgewacht war, fühlte er eine gewisse Erleichterung. Der Schwindel war
verschwunden. Sie blieben ein, zwei, drei Stunden unter dem Wasserstrahl
stehen, zitterten vor Angst und Kälte. Er hatte die Dusche nur einmal
verlassen, um Argeies anzurufen und sie zu bitten,
das Gleiche zu tun. Der Schwindel war zurückgekommen, und er musste sofort wieder
unter das fließende Wasser. Unter der Dusche schien alles ruhig zu sein, aber
er musste unbedingt begreifen, was hier geschah.
»Ich habe das nie geglaubt«, sagte
er.
Sie schaute ihn verständnislos an.
Vor zwei Jahren waren sie Hippies ohne einen Pfennig gewesen, und jetzt wurden
seine Songs im ganzen Land gespielt. Er war auf der Höhe seines Erfolges -
obwohl nur wenige seinen Namen kannten.
Und er sagte, dies sei alles
Frucht der Rituale, der okkulten Studien, der Macht der Magie.
»Ich habe das alles nie geglaubt«,
fuhr er fort. »Sonst hätte ich mich nicht auf diesen Weg eingelassen! Ich hätte
mich nie dieser Gefahr ausgesetzt und dich auch nicht.«
»Tu doch in Gottes Namen etwas!«,
sagte sie. »Wir können doch nicht ewig unter der Dusche stehen bleiben!«
Er trat erneut aus der Dusche und
spürte wieder den Schwindel, das schwarze Loch. Er ging zum Bücherregal und kam
mit der Bibel zurück. Er hatte eine Bibel im Haus - nur um darin die Apokalypse
zu lesen, die Gewissheit zu haben, dass es das »Reich des Großen Tieres« gab.
Er hatte alles genau so gemacht, wie die Jünger des »Tieres« es befahlen -
aber im Grunde hatte er an nichts geglaubt.
»Lass uns zu Gott beten!«, sagte
er. Erfühlte sich lächerlich, demoralisiert angesichts der Frau, die er all
diese Jahre hatte beeindrucken wollen. Er war schwach, würde sterben, musste
Demut zeigen, um Vergebung bitten. Das Wichtigste war jetzt, seine Seele zu
retten. Am Ende hatte sich gezeigt, dass alles stimmte.
Er klammerte sich an die Bibel
Weitere Kostenlose Bücher