Coelho,Paul
würde er Chris von seiner Wette erzählen. Und sagen,
dass es einfacher war, den Engel zu sehen, als mit ihm zu sprechen! Es reichte
zu glauben, dass es Engel gibt, es reichte, wenn man die Engel brauchte. Und
sie zeigten sich, strahlend wie die Morgensonne. Und sie halfen, erfüllten
ihre Aufgabe, zu beschützen und zu leiten, damit jede Generation ihre
Gegenwart an die nächste Generation weitergab - damit sie niemals vergessen
wurden.
>Schreib etwas!<, hörte er
eine Stimme in seinem Kopf sagen.
Eigenartig. Er war doch gar nicht
beim Channeling - er betrachtete doch nur das Antlitz
seines Engels.
Dennoch verlangte etwas in ihm,
dass er schrieb. Er versuchte, sich auf den Horizont und auf die Wüste zu konzentrieren,
aber es gelang ihm nicht mehr.
Er ging zum Wagen, holte einen
Block und einen Kugelschreiber. Er hatte bereits Erfahrungen mit Psychographie
gemacht, es dabei aber nicht weit gebracht. J. hatte ihm gesagt, dass dies
nichts für ihn sei und dass er seine wahre Gabe suchen müsse.
Paulo setzte sich in den Sand,
hielt den Kugelschreiber zwischen den Fingern und versuchte, sich zu
entspannen. Bald würde der Kugelschreiber sich von allein bewegen, ein paar
Striche ziehen, und dann würden die Worte auftauchen. Dazu musste er das
Bewusstsein ausschalten, zulassen, dass ein Geist oder ein Engel ihn besaß.
Er gab sich ganz hin und
akzeptierte, nur Werkzeug zu sein. Aber nichts geschah. >Schreib etwas!<,
hörte er wieder die Stimme in seinem Kopf.
Er erschrak. Kein Geist würde in
ihn fahren. Er war beim Channeling , ohne es zu wollen
- als wäre sein Engel dort und redete mit ihm.
Er hielt den Kugelschreiber jetzt
anders - ganz fest.
Die Worte erschienen klar und
deutlich. Und er kopierte, ohne nachzudenken:
Um Zions willen will ich nicht schweigen,
und um Jerusalems willen will ich
nicht innehalten,
bis dass ihre Gerechtigkeit
aufgehe wie ein Glanz
und ihr Heil entbrenne wie eine
Fackel.
So etwas war noch nie passiert. Er
hörte eine Stimme in sich, die die Worte diktierte:
Und du sollst mit einem neuen
Namen genannt werden,
welchen des HERRN Mund nennen
wird.
Und du wirst sein eine schöne
Krone in der Hand des
HERRN und ein königlicher Hut in
der Hand deines
Gottes.
Man soll dich nicht mehr die
Verlassene noch dein Land eine Verwüstung heißen;
sondern du sollst »Meine Lust an
ihr« und dein Land »Liebes Weib« heißen.
Er versuchte, mit der Stimme zu
sprechen. Er fragte, wem er dies sagen solle.
>Dies wurde bereits gesagt<,
entgegnete die Stimme. >Es wird nur erinnert<. Paulo spürte einen Knoten
in der Kehle. Das war ein Wunder, und er dankte dem Herrn.
Die goldene Sonnenscheibe erschien
ganz allmählich am Horizont. Er legte Block und Kugelschreiber zur Seite, erhob
sich und streckte die Hände dem Licht entgegen. Er bat, dass alle diese Kraft
der Hoffnung - der Hoffnung, die ein neuer Tag Millionen von Menschen auf der
Welt bringt - durch seine Finger in ihn eindringen und in seinem Herzen ruhen
möge. Er bat darum, immer aufs Neue an die neue Welt, an die Engel, an die
offenen Pforten des Paradieses glauben zu können. Er bat seinen Engel und die
Jungfrau Maria um ihren Schutz - für ihn und alle, die er liebte, und für seine
Arbeit.
Der Schmetterling kam und ließ
sich, wie auf ein geheimes Zeichen des Engels hin, auf seiner linken Hand
nieder. Paulo rührte sich nicht, denn dies war ein weiteres Wunder. Sein Engel
hatte geantwortet.
Er spürte in diesem Augenblick,
wie das Universum stillstand: die Sonne, der Schmetterling, die Wüste vor ihm.
Und im nächsten Augenblick ging
eine Erschütterung durch die Luft um ihn herum. Es war kein Wind. Luft wurde
wegbewegt - genauso, wie wenn ein Bus mit hoher Geschwindigkeit einen Wagen
überholt.
Ein Schauer höchster Angst lief
ihm über den Rücken.
J emand war
dort. >Dreh dich nicht um!<, hörte er wieder die Stimme. Sein Herz
klopfte heftig, und ihm wurde schwindlig. Er wusste, dies war Angst,
schreckliche Angst. Er stand reglos da, die Hände nach vorn ausgestreckt, auf
einer saß der Schmetterling.
>Ich werde vor Angst ohnmächtig
werden<, dachte er. >Werde nicht ohnmächtig!<, sagte die Stimme. Er
versuchte, die Kontrolle über sich zu behalten, aber seine Hände wurden kalt,
und er begann zu zittern. Der Schmetterling flog weg, und Paulo senkte die
Arme. >Knie nieder!<, sagte die Stimme.
Er tat, was die Stimme in seinem
Kopf ihm befahl. Er strich den Sand vor sich glatt. Sein Herz schlug immer
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