Coelho,Paul
noch
heftig, und er fühlte sich immer schwindliger, dachte, er würde einen Herzanfall
bekommen.
>Schau zu Boden!<
Ein ungeheures Licht, fast so
stark wie die Morgensonne, erstrahlte links von ihm. Er wollte nicht hinsehen,
wollte nur, dass dies alles schnell vorüberging. Für den Bruchteil einer
Sekunde erinnerte er sich an seine Kindheit, als man ihm davon erzählte, wie
die Heilige Jungfrau Maria den Kindern erschienen war. Er hatte damals
nächtelang wach gelegen und zu Gott gebetet, dass er ihm niemals die Jungfrau
schicken möge - denn er würde Angst haben. Fürchterliche Angst.
Dieselbe fürchterliche Angst, die
er jetzt hatte.
>Schau zu Boden!<,
wiederholte die Stimme.
Er schaute in den Sand, den er
gerade glattgestrichen hatte. Und da erschien der
goldene Arm, hell wie die Sonne, und begann zu schreiben.
>Dies ist mein Name!<, sagte
die Stimme.
Das angstvolle Schwindelgefühl war
immer noch da. Paulos Herz schlug immer schneller.
>Glaube!<, hörte er die
Stimme sagen. >Die Pforten sind eine Zeitlang offen<.
Er nahm alle Kraft, die ihm noch
geblieben war, zusammen.
»Ich möchte etwas sagen«, sagte er
laut. Die Wärme der Sonne schien ihm seine Kraft wiederzugeben. Er hörte
nichts, keine Antwort.
Eine Stunde später, als Chris kam
- sie hatte den Hotelbesitzer geweckt und ihn gebeten, sie mit seinem Wagen
dorthin zu fahren -, blickte er immer noch auf den Namen, der in den Sand
geschrieben stand.
D ie beiden
schauten Paulo dabei zu, wie er den Mörtel anmischte.
»Was für eine Wasserverschwendung
mitten in der Wüste«, lachte Took . Chris bat ihn,
sich nicht lustig zu machen, ihr Mann stand noch immer unter dem Eindruck der
Vision.
»Ich habe herausgefunden, woher
die Worte stammen«, sagte Took . »Der Prophet Jesaja
hat sie geschrieben.«
»Warum diese Textstelle?«, fragte
Chris.
»Keine Ahnung. Ich werde sie mir
merken.«
»Sie erwähnt eine neue Welt«, fuhr
sie fort.
»Das mag der Grund sein«,
entgegnete Took . »Möglicherweise deshalb.«
Paulo rief sie. Der Mörtel war
fertig.
Die drei beteten ein Ave-Maria.
Dann stieg Paulo auf den Felsen, brachte den Mörtel aus und stellte das
Marienbildnis darauf, das er immer mit sich führte.
»So, nun ist es fertig.«
»Vielleicht nehmen es die Ranger , die hier immer vorbeikommen, wieder weg«, meinte Took . »Sie wachen über die Wüste, als handelte es sich um
ein Blumenbeet.«
»Mag sein«, antwortete Paulo.
»Aber die Stelle ist markiert. Sie wird für immer einer meiner heiligen Orte
sein.«
»Nein«, sagte Took .
»Heilige Orte sind individuelle Plätze. Hier wurde ein Text diktiert. Ein Text,
den es bereits gab, der von Hoffnung spricht und vergessen worden war.«
Paulo wollte jetzt nicht darüber
nachdenken. Er hatte immer noch Angst.
»Hier war die Energie der
Weltenseele spürbar«, fuhr Took fort, »und sie wird
es für immer bleiben. Dies ist ein Ort der Kraft«
Sie rollten die Plastikplane, auf
der Paulo den Mörtel angemischt hatte, zusammen, steckten sie in den
Kofferraum des Wagens und brachten Took zu seinem
alten Wohnwagen.
»Paulo!«, sagte er, als sie
bereits beim Weggehen waren. »Mein Vater hat mich irgendwann einmal ein altes
Sprichwort der >Tradition< gelehrt. Ich finde, du solltest es kennen:
Wen Gott verrückt machen will, dem
erfüllt er alle Wünsche.
»Mag sein«, entgegnete Paulo.
»Aber das Risiko hat sich gelohnt.«
Epilog
Anderthalb Jahre nach der
Erscheinung des Engels fand ich in meiner Post einen Brief aus Los Angeles. Er
stammte von einer brasilianischen Leserin, Rita de Freitas ,
die mich zum Alchimisten beglückwünschte.
Ich antwortete ihr spontan und bat
sie, zum Glorieta Canyon in der Nähe von Borrego Springs zu fahren und nachzuschauen, ob es die
Statue der Heiligen Jungfrau der Erscheinung noch gab, die ich dort aufgestellt
hatte.
Nachdem ich den Brief aufgegeben
hatte, dachte ich: >So ein Unsinn. Diese Frau hat mich nie gesehen, sie ist
nur eine Leserin, die mir ein paar nette Worte geschrieben hat, aber sie wird
niemals tun, worum ich sie gebeten habe. Sie wird keine sechsstündige Autofahrt
bis in die Wüste machen, nur um nachzusehen, ob dort noch eine kleine Statue steht.<
Kurz vor Weihnachten 1989 erhielt
ich einen Brief von Rita, aus dem ich im Folgenden ein paar Ausschnitte
zitiere:
»Es sind ein paar großartige
>Zufälle< zusammengekommen. Ich hatte wegen Thanksgiving eine Woche Urlaub. Mein Freund (Andrea, ein italienischer Musiker) und
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