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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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Ich hätte wegfahren und
versuchen sollen, die ganze Sache, so gut es ginge, zu vergessen. Doch statt
dessen stand ich an dem Drahtgehege, fasziniert, wie die drei Männer den Tod an
die fluglosen Vögel austeilten. Und neben mir das Kind, das, die Finger im
Maschendraht, den Anblick ebenfalls verschlang.
    So schwer
und doch so leicht, töten, sterben.
    Es wurde fünf Uhr,
Feierabend, und ich verabschiedete mich. Während ich zurückfuhr zu diesem
leeren Haus, brachte William Florence und die Kinder zu den Wohnquartieren. Er
wusch sich; sie kochte das Abendessen aus Huhn und Reis auf dem Propanherd und
fütterte dann das Baby. Es war Samstag. Einige von den anderen Farmarbeitern
waren irgendwo zu Besuch, erholten sich. Und so konnten Florence und William
die Kinder in einer leeren Schlafstelle zu Bett legen und in der warmen
Abenddämmerung einen Spaziergang machen, nur die beiden.
    Sie gingen
am Straßenrand entlang. Sie sprachen über die vergangene Woche, wie sie gewesen
war; sie sprachen über ihr Leben.
    Als sie zurückkamen, schliefen
die Kinder fest. Um für sich zu sein, hängten sie eine Decke vor ihre
Schlafstelle. Dann hatten sie die Nacht für sich, die ganze, bis auf die halbe
Stunde, als Florence hinausschlüpfte und im Dunkeln das Baby fütterte.
    Am
Sonntagmorgen zog William – nicht sein wirklicher Name, sondern der Name, unter
dem man ihn in der Welt seiner Arbeit kennt – seinen Anzug und gute Schuhe an
und setzte sich den Hut auf. Er und Florence gingen zur Bushaltestelle, sie mit
dem Baby auf dem Rücken, er Hope an der Hand haltend. Sie nahmen einen Bus nach
Kuilsrivier, dann ein Taxi nach Guguletu zu der Schwester, bei der ihr Sohn
untergebracht war.
    Es war nach
zehn Uhr, und es wurde langsam heiß. Die Kirche war vorbei; das Wohnzimmer war
voll von Besuchern, alle redeten. Nach einer Weile gingen die Männer; Zeit für
Florence, ihrer Schwester in der Küche zu helfen. Hope schlief auf dem Fußboden
ein. Ein Hund kam herein, beleckte ihr Gesicht, wurde fortgejagt; sie wurde,
noch immer schlafend, auf das Sofa gehoben. In einem unbeobachteten Moment gab
Florence ihrer Schwester das Geld für Bhekis Miete, für sein Essen, seine
Schuhe, seine Schulbücher; ihre Schwester steckte es weg in ihr Leibchen. Dann
ließ Bheki sich blicken und begrüßte seine Mutter. Dann kamen die Männer zurück
von wo immer sie gewesen waren, und alle aßen sie zu Mittag: Huhn von der Farm
oder der Fabrik oder aus dem Betrieb oder was immer das ist, Reis, Kohl,
Bratenfett. Von draußen begannen Bhekis Freunde zu rufen: hastig aß er seinen
Teller leer und verließ den Tisch.
    All das
geschah. All das muß geschehen sein. Es war ein gewöhnlicher Tag in Afrika:
faules Wetter, ein fauler Tag. Fast könnte man sagen: So sollte das Leben sein.
    Es wurde Zeit, daß sie
aufbrachen. Sie gingen zur Bushaltestelle, Hope jetzt auf den Schultern ihres
Vaters reitend. Der Bus kam; sie verabschiedeten sich. Der Bus trug Fiorence
und ihre Töchter davon. Er trug sie nach Mowbray, von wo sie einen anderen Bus
bis zur St. George’s Street nahmen und dann einen dritten die Kloof Street hoch.
Von der Kloof Street gingen sie zu Fuß weiter. Als sie die Schoonder Street
erreichten, waren die Schatten lang geworden. Es war Zeit, der quengeligen und
müden Hope das Abendessen zu geben, das Baby zu baden, die Wäsche von gestern
zu bügeln.
    Wenigstens schlachtet er
keine Rinder, sagte ich mir; wenigstens sind es nur Hühner – mit ihren
verrückten Hühnerblicken und ihrer eingebildeten Vornehmheit. Aber sie wollte
mir nicht aus dem Kopf gehen, die Farm, die Fabrik, das Unternehmen, wo
der Mann der Frau arbeitete, die Seite an Seite mit mir lebte, wo er seinen
Verschlag abschritt, links und rechts, hin und her, immer rund herum, in einem
Geruch von Blut und Federn, in einem Aufruhr empörten Gezeters, hinabgreifend,
hochschwingend, zupackend, bindend, aufhängend. Ich dachte an all die Männer in
der Weite Südafrikas, die, während ich aus dem Fenster blickend dasaß, Hühner
töteten, Erde bewegten, Schubkarre auf Schubkarre; an all die Frauen, die
Orangen sortierten, Knopflöcher nähten. Wer würde sie je zählen, die
Spatenstiche, die Orangen, die Knopflöcher, die Hühner? Ein Universum der
Mühsal, ein Universum des Zählens: wie den ganzen Tag vor einer Uhr sitzen,
zählen, wie die Sekunden auftauchen, das Leben wegzählen.
    Seit
Vercueil mein Geld genommen hatte, war er ständig am Trinken, nicht nur Wein,
sondern auch

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