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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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sagte ich leise, »denkst du, die Grausamkeit wird sie verlassen?
Was für Eltern werden sie sein, wenn ihnen beigebracht wurde, die Zeit der
Eltern sei vorbei? Können Eltern neu erschaffen werden, wenn die Idee des
Elternseins in uns zerstört worden ist? Sie treten und schlagen einen Mann,
weil er trinkt. Sie stecken Menschen in Brand und lachen, während sie bei
lebendigem Leibe verbrennen. Wie werden sie ihre eigenen Kinder behandeln? Zu
welcher Liebe werden sie fähig sein? Ihre Herzen werden vor unseren Augen zu
Stein, und was sagst du? Du sagst: ›Das ist nicht mein Kind, das ist des weißen
Mannes Kind, das ist das Ungeheuer, das der weiße Mann gemacht hat.‹ Ist das
alles, was du sagen kannst? Willst du sie den Weißen anlasten und ihnen den
Rücken kehren?«
    »Nein«,
sagte Florence. »Das ist nicht wahr. Ich kehre meinen Kindern nicht den
Rücken.« Sie faltete das Laken quer und längs, quer und längs, so daß die Ecken
sich genau und bündig deckten. »Das sind gute Kinder, sie sind wie Eisen, wir
sind stolz auf sie.« Auf dem Bügelbrett breitete sie den ersten Kissenbezug
aus. Ich wartete darauf, daß sie noch mehr sagte. Aber es kam nichts mehr. Sie
war nicht daran interessiert, mit mir zu debattieren.
    Kinder aus
Eisen, dachte ich. Auch Florence selber ziemlich eisern. Die Eisenzeit. Nach
der die Bronzezeit kommt. Wie lange, wie lange noch, bis die weicheren Zeiten
in ihrem Zyklus wiederkehren, das Zeitalter des Lehms, das Zeitalter der Erde?
Eine spartanische Matrone, mit eisernem Herzen, die der Nation Kriegersöhne
gebiert. »Wir sind stolz auf sie.« Wir. Komm heim, entweder mit deinem Schild
oder auf deinem Schild.
    Und ich? Wo
ist in alldem mein Herz? Mein einziges Kind ist Tausende von Meilen weit weg,
in Sicherheit; bald werde ich Rauch und Asche sein. Was also geht es mich an,
daß eine Zeit gekommen ist, in der Kinder einander schulen, nie zu lächeln, nie
zu weinen, die Fäuste wie Hämmer in die Luft zu heben? Ist es wirklich eine aus
der Zeit geratene Zeit, aus der Erde heraufgewürgt, mißgezeugt, monströs?
Wodurch kam denn schließlich die Eisenzeit in die Welt, wenn nicht durch die Granitzeit?
Haben wir nicht Voortrekkers gehabt, Generation auf Generation von
Voortrekkers, Afrikanerkinder mit grimmigen Gesichtern, schmallippig, die ihre
patriotischen Marschlieder sangen, ihrer Fahne salutierten und schworen, für
ihr Vaterland zu sterben? Ons sal lewe, ons sal sterwe. Gibt es nicht
immer noch weiße Eiferer, die das alte Regime der Disziplin, der Arbeit, des
Gehorsams, der Selbstaufopferung predigen; die Kindern, von denen manche sich
noch nicht die Schuhbänder knüpfen können, ein Regime des Todes predigen. Was
für ein Alptraum von Anfang bis Ende! Der Geist von Genf, triumphierend in
Afrika. Calvin, schwarzgewandet, dünnblütig, fortwährend frierend, in der
Nachwelt die Hände sich reibend, sein winterliches Lächeln lächelnd. Calvin,
siegreich, wiedergeboren in den Dogmatikern und Hexenjägern beider Armeen. Wie
glücklich kannst Du dich preisen, all das hinter Dir gelassen zu haben!
     
     
    Der andere
Junge, Bhekis Freund, kam auf einem roten Fahrrad mit dicken himmelblauen
Reifen. Als ich gestern nacht zu Bett ging, stand das Rad im Hof, naß im
Mondlicht glänzend. Als ich heute morgen um sieben aus dem Fenster sah, war es
noch da. Ich nahm die Morgenpillen und fand noch eine Stunde Schlaf. Ich
träumte, ich sei in einer Menschenmenge gefangen. Gestalten rempelten mich an,
schlugen nach mir, fluchten in Worten, die ich nicht verstehen konnte,
schmutzig, bedrohlich. Ich schlug zurück, aber meine Arme waren die eines
Kindes: fuh, fuh machten meine Schläge, wie verpuffende Luft.
    Ich wurde wach durch laute
Stimmen, die von Florence und von jemand anderem. Ich klingelte einmal,
zweimal, dreimal, viermal. Endlich kam Florence.
    »Ist da wer an der Tür,
Florence?«
    Florence hob die Steppdecke
vom Fußboden auf und legte sie zusammengefaltet über das Fußende des Bettes.
»Nein, niemand«, sagte sie.
    »Ist der
Freund deines Sohnes über Nacht hiergeblieben?«
    »Ja. Er
kann bei Dunkelheit nicht mit dem Fahrrad fahren, das ist zu gefährlich.«
    »Und wo hat
er geschlafen?«
    Florence richtete sich auf.
»In der Garage. Er und Bheki haben in der Garage geschlafen.«
    »Aber wie sind sie da
reingekommen?«
    »Sie haben
das Fenster aufgemacht.«
    »Können sie
mich nicht fragen, bevor sie sowas tun?«
    Schweigen. Florence nahm
das Tablett auf.
    »Wird
dieser Junge auch

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