Coetzee, J. M.
Brandy. An manchen Tagen trinkt er bis Mittag nichts und benutzt
die Stunden der Abstinenz, um das Nachgeben dann um so mehr zu genießen. Öfter
ist er allerdings schon berauscht, wenn er am späten Vormittag aus dem Haus
geht.
Die Sonne
schien heute bleich, als er von seinem Ausflug zurückkam. Ich saß oben auf dem
Balkon; er sah mich nicht, als er sich im Hof hinsetzte, mit dem Rücken an der
Wand, dem Hund neben sich. Florences Sohn war schon da, mit einem Freund, den
ich noch nicht gesehen hatte, und Hope, die jede Bewegung der Jungen mit den
Augen verschlang. Sie hatten ein Radio an; das Scheppern und Wummern der Musik
war noch schlimmer als der Tennisball.
»Wasser«, rief Vercueil zu
den Jungen – »Bringt mir etwas Wasser.«
Der neue Junge, der Freund,
überquerte den Hof und hockte sich neben ihn. Was zwischen ihnen hin- und
herging, hörte ich nicht. Der Junge streckte eine Hand aus. »Gib«, sagte er.
Faul schlug Vercueil ihm
die Hand nach unten.
»Gib sie
mir«, sagte der Junge und fing an, auf den Knien, Vercueil die Flasche aus der
Hosentasche zu zerren.
Vercueil leistete
Widerstand, aber nur lustlos.
Der Junge
schraubte den Verschluß ab und ließ den Brandy auf den Boden plätschern. Dann
warf er die Flasche beiseite. Sie zersplitterte. Dumm, so etwas zu tun: fast
hätte ich es laut gerufen.
»Sie machen dich zu einem
Hund!« sagte der Junge. »Willst du ein Hund sein?«
Der Hund,
Vercueils Hund, winselte begierig.
»Fahr zur
Hölle«, erwiderte Vercueil schwerzüngig.
»Hund!«
sagte der Junge. »Säufer!«
Er kehrte Vercueil den
Rücken und ging zurück zu Bheki, ein Schwanken im Gang. Was für ein
eingebildetes Kind, dachte ich. Wenn sich so die neuen Beschützer des Volkes
aufführen, so bewahre uns der Herr vor ihnen.
Das kleine Mädchen
schnupperte an dem Brandy und zog die Nase kraus.
»Fahr du
auch zur Hölle«, sagte Vercueil und winkte sie weg. Sie regte sich nicht. Dann
drehte sie sich plötzlich um und lief zum Zimmer ihrer Mutter.
Die Musik dröhnte weiter.
Vercueil schlief ein, sank seitwärts an der Wand hin, mit dem Kopf des Hundes
auf seinem Knie. Ich kehrte zu meinem Buch zurück. Nach einer Weile verschwand
die Sonne hinter Wolken, und es wurde kalt. Ein feiner Nieselregen setzte ein.
Der Hund schüttelte sich und ging in den Schuppen. Vercueil kam auf die Füße
und folgte ihm. Ich sammelte meine Sachen ein.
Im Inneren des Schuppens
entstand Unruhe. Zuerst schoß der Hund heraus, drehte sich um und stand bellend
da; dann tauchte rückwärts gehend Vercueil auf; dann folgten die zwei Jungen.
Als der zweite Junge, der Freund, sich ihm näherte, schlug Vercueil zu und traf
ihn mit der flachen Hand am Hals. Mit einem Zischen der Überraschung zog der
Junge Luft ein; sogar vom Balkon aus hörte ich es. Er schlug zurück, so daß
Vercueil taumelte und fast gefallen wäre. Der Hund tanzte kläffend herum. Der
Junge schlug Vercueil noch einmal, und jetzt ging auch Bheki auf ihn los.
»Aufhören!« schrie ich zu ihnen hinunter. Sie beachteten mich nicht. Vercueil
war zu Boden gegangen; sie traten ihn. Bheki zog sich den Gürtel aus der Hose
und fing an, ihn damit zu schlagen. »Florence!« schrie ich – »Sie sollen
aufhören!« Vercueil bedeckte sich das Gesicht mit den Händen, um sich zu
schützen. Der Hund sprang Bheki an; Bheki boxte ihn zurück und drosch mit
seinem Gürtel weiter auf Vercueil ein. »Hört auf, ihr zwei!« schrie ich und
packte das Geländer. »Hört sofort auf, oder ich ruf die Polizei!«
Da erschien
Florence. Sie sprach scharf, und die Jungen ließen ab von Vercueil. Er rappelte
sich auf. So schnell ich konnte, kam ich nach unten.
»Wer ist
dieser Junge?« fragte ich Florence.
Der Junge hörte auf, zu
Bheki zu sprechen, und betrachtete mich. Mir gefiel dieser Blick nicht:
hochmütig, streitsüchtig.
»Er ist ein
Freund aus der Schule«, sagte Florence.
»Er muß weg, nach Hause«,
sagte ich. »Das wird mir zuviel. Ich will keine Schlägereien in meinem Hof. Ich
will nicht, daß hier Fremde ein- und ausgehen.«
Aus
Vercueils Lippe kam Blut. Seltsam, Blut auf diesem Ledergesicht zu sehen. Wie
Honig auf Asche.
»Er ist
kein Fremder, er ist zu Besuch«, sagte Florence.
»Müssen wir
einen Paß haben, um hier reinzukommen?« sagte Bheki. Er tauschte Blicke mit
seinem Freund. »Müssen wir einen Paß haben?« Herausfordernd warteten sie auf
meine Antwort. Das Radio lief noch immer: ein unmenschlicher Lärm, lästig: am
liebsten hätte ich mir
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