Coetzee, J. M.
die Ohren zugehalten.
»Ich habe nichts gesagt von
Pässen«, sagte ich. »Aber mit welchem Recht kommt er her und überfällt diesen
Mann? Dieser Mann wohnt hier. Es ist sein Zuhause.«
Florence
blähte die Nüstern.
»Ja«, sagte ich und wandte
mich ihr zu, »auch er wohnt hier, es ist sein Zuhause.«
»Er wohnt
hier«, sagte Florence, »aber er taugt nichts, ein Nichtsnutz.«
»Jon moer!« sagte Vercueil. Er hatte den Hut abgenommen und boxte
die Krone heraus; jetzt hob er die Hand mit dem Hut, als wollte er sie
schlagen, »fou moer!«
Bheki schnappte ihm den Hut
weg und warf ihn aufs Garagendach. Der Hund bellte wütend. Langsam kullerte der
Hut die Dachschräge herunter.
»Er ist keine unnütze
Person«, sagte ich, die Stimme senkend und nur zu Florence. »Es gibt keine
unnützen Menschen. Wir sind alle miteinander Menschen.«
Aber Florence hatte keine
Lust, sich etwas vorpredigen zu lassen. »Zu nichts nütze als zum Trinken«,
sagte sie. »Den ganzen Tag nur trinken, trinken, das kann er. Ich mag ihn hier
nicht.«
Ein
Nichtsnutz: war er das wirklich? Ja, vielleicht: Nichtsnutz: ein gutes altes
Wort, man hört es kaum noch heutzutage.
»Er ist mein Bote«, sagte
ich.
Florence
sah mich skeptisch an.
»Er wird Botschaften für
mich austragen«, sagte ich.
Sie zuckte
mit den Achseln. Vercueil, mit seinem Hut und seinem Hund, schlurfte davon. Ich
hörte den Torriegel einrasten. »Sag den Jungen, sie sollen ihn in Ruhe lassen«,
sagte ich. »Er tut keinem was.«
Wie ein
alter, von den heranwachsenden Rivalen verjagter Kater hat Vercueil sich
verzogen. Ich sehe schon, wie ich die Parks absuche und leise rufe: »Mr.
Vercueil! Mr. Vercueil!« Eine alte Frau auf der Suche nach ihrer Katze.
Florence ist unverhohlen
stolz darauf, wie Bheki den Nichtsnutz vertrieben hat, sagt aber voraus, daß er
zurück sein wird, sobald die Regenfälle einsetzen. Was mich betrifft, so
bezweifele ich, daß er sich blicken läßt, solange die Jungen noch hier sind.
Das habe ich Florence auch gesagt. »Du bestärkst Bheki und seine Freunde darin,
daß sie ungestraft die Hand gegen ihre Vorfahren erheben können. Das ist ein
Fehler. Ja, was du auch von ihm halten magst, Vercueil ist ihr Vorfahr!
Je mehr du nachgibst, desto
unverschämter werden die Kinder. Du hast zu mir gesagt, du bewunderst die
Generation deines Sohnes, weil sie sich vor nichts fürchten. Sei vorsichtig: Es
kann sein, daß sie anfangen, achtlos mit ihrem eigenen Leben umzugehen, und
damit enden, daß sie auch das Leben anderer nicht achten. Was du an ihnen
bewunderst, ist nicht unbedingt ihre beste Seite.
Ich muß
immer wieder daran denken, was du neulich gesagt hast: daß es keine Mütter und
Väter mehr gibt. Ich kann nicht glauben, daß das dein Ernst ist. Kinder können
nicht aufwachsen ohne Mütter oder Väter. Diese Brandstiftungen und Tötungen,
von denen man hört, die erschreckende Abgestumpftheit, auch dieses Verprügeln
von Mr. Vercueil – wessen Schuld ist das denn? Doch wohl die Schuld der Eltern,
die sagen: ›Los, mach doch, was du willst, du bist jetzt dein eigener Herr, ich
fühle mich nicht mehr verantwortlich für dich.‹ Welches Kind hat wirklich den
Wunsch, sich so etwas sagen zu lassen? Bestimmt wird es sich verwirrt abwenden
und bei sich denken: ›Ich habe jetzt keine Mutter mehr und keinen Vater; sie
sind gestorben für mich: dann soll der Tod meine Mutter sein, der Tod mein
Vater.‹ Du wäschst sie dir von den Händen, und sie werden zu Kindern des
Todes.«
Florence
schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie fest.
»Aber weißt du noch, was du
voriges Jahr zu mir gesagt hast, Florence, als diese unsäglichen Dinge in den
Townships passierten? Du hast gesagt: ›Ich sah eine Frau in Flammen, sie
brannte, und als sie um Hilfe schrie, lachten die Kinder und schütteten noch
mehr Benzin auf sie.‹ Du sagtest: ›Ich hätte mein Lebtag nicht gedacht, so was
zu sehen.‹«
»Ja, das hab ich gesagt,
und es ist wahr. Aber wer hat sie so grausam gemacht? Es sind die Weißen, die
sie so grausam gemacht haben! Ja!« Sie atmete heftig, leidenschaftlich. Wir
standen in der Küche. Sie war am Bügeln. Die Hand, die das Bügeleisen hielt,
drückte schwer nach unten. Wütend blickte sie mich an. Ich berührte leicht ihre
Hand. Sie hob das Eisen. Es hinterließ einen braunen Abdruck auf dem Laken.
Keine Gnade, dachte ich:
ein Krieg ohne Gnade, ohne Einschränkungen. Ein Krieg, gut zu missen.
»Und wenn sie eines Tages
groß sind«,
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