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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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boshaften Blick zu. »Auch so eine nichtsnutzige Person«, sagte
sie und stampfte davon.
    »Ich möchte
diese Frau nie wiedersehn«, sagte ich zu Vercueil.
    Das Fahrrad
mit den zwei Jungen tauchte an der höchsten Stelle der Schoonder Street wieder
auf und kam zu uns zurückgerast, Bhekis Freund trampelnd, so schnell er konnte.
Dichtauf folgte ihnen der gelbe Polizeiwagen von gestern.
    Ein Kleinlastwagen stand am
Bordstein, mit Rohren und Eisenstangen nach hinten hinaus, Klempnermaterial. Es
war Platz genug für das Fahrrad, um daran vorbeizukommen. Aber als der gelbe
Kombi mit den Jungen auf gleiche Höhe zog, schwang die ihnen zugekehrte Tür auf
und schlug sie zur Seite. Das Fahrrad kam ins Schleudern und geriet außer
Kontrolle. Ich sah kurz, wie Bheki herabrutschte, die Arme über dem Kopf, während
der andere Junge sich aus dem Sattel hob und mit abgewandtem Gesicht abwehrend
eine Hand vorstreckte. Über dem Verkehrsgeräusch der Mill Street hörte ich ganz
deutlich den dumpfen Aufprall eines Körpers, der mitten im Flug gestoppt wird,
ein tiefes, überraschtes »Ah!« ausgestoßenen Atems, das Krachen, als das
Fahrrad auf den Klempnerwagen knallte. »Gott!« kreischte ich so schrill, daß
ich meinen in der Luft hängenden Schrei nicht als meinen eigenen erkannte. Die
Zeit schien stehenzubleiben und dann weiterzugehen, eine Lücke hinterlassend:
In einem Augenblick streckte der Junge die Hand aus, um sich zu retten, im
nächsten war er Teil eines Gewirrs im Rinnstein. Dann verhallte mein Schrei,
und die Szene fügte sich in all ihrer Vertrautheit wieder zusammen: die
Schoonder Street werktags, an einem ruhigen Morgen, und ein kanariengelber
Kombi verschwindet um die Ecke.
    Ein Hund, ein
Apportierhund, kam angetrabt, um seine Nachforschungen anzustellen. Vercueils
Hund beschnüffelte den Apportierhund, während der Apportierhund, ohne ihn zu
beachten, das Pflaster beschnüffelte und dann eine Stelle abzulecken begann.
Ich wollte mich bewegen, konnte aber nicht. Es war eine Kälte in mir, meine
Glieder schienen sich zu entfernen, das Wort Ohnmacht kam mir in den
Sinn, obwohl ich noch nie ohnmächtig geworden bin. Dieses Land! dachte
ich. Und dann: Gott sei Dank ist sie raus!
    Ein Tor
ging auf, und ein Mann in blauer Arbeitskleidung erschien. Er gab dem
Apportierhund einen Tritt, und beleidigt und überrascht sprang der Hund weg.
»Jesus!« sagte der Mann. Er bückte sich und fing an, die Glieder durch den
Fahrradrahmen zu ziehen.
    Ich trat näher, zitternd.
»Florence!« rief ich. Aber kein Zeichen von Florence.
    Breitbeinig über den
Körpern stehend, hob der Mann das Fahrrad beiseite. Bheki lag unter dem anderen
Körper. Tiefer Unmut stand auf seinem Gesicht. Immer wieder befeuchtete er sich
mit der Zunge die Lippen, seine Augen waren geschlossen. Vercueils Hund wollte
ihn belecken. »Geh weg!« flüsterte ich und gab ihm einen Schubs mit dem Fuß. Er
wedelte mit dem Schwanz.
    Eine Frau
erschien an meinem Ellbogen, die Hände an einem Handtuch sich abtrocknend.
»Sind das Zeitungsjungen?« sagte sie. »Sind das Zeitungsjungen, wissen Sie
das?« Ich schüttelte den Kopf.
    Irgendwie
ratlos stellte der Mann in Blau sich nochmals breitbeinig über die Körper. Was
er hätte tun sollen, war, das tote Gewicht des anderen Jungen, der mit dem
Gesicht nach unten über Bheki lag, wegzuheben. Aber das wollte er nicht, und
auch ich wollte nicht, daß er es tat. Etwas stimmte nicht, etwas war
unnatürlich an der Art, wie der Junge lag.
    »Ich geh
einen Rettungswagen rufen«, sagte die Frau. Ich bückte mich und hob einen
schlaffen Arm des Jungen an. »Warten Sie!« sagte der Mann. »Seien wir
vorsichtig.«
    Als ich
mich aufrichtete, überkam mich ein solcher Schwindel, daß ich die Augen
schließen mußte.
    Der Mann faßte den Jungen
unter den Achseln, zog ihn von Bheki herunter und legte ihn aufs Pflaster.
Bheki öffnete die Augen.
    »Bheki«, sagte ich. Bheki
sah mich ruhig und ohne Neugier an. »Alles in Ordnung«, sagte ich. Mit völlig
friedlichen Augen betrachtete er mich weiter, akzeptierte die Lüge, ließ sie
durchgehen. »Der Rettungswagen ist unterwegs«, sagte ich.
    Dann war Florence da, kniete
neben ihm, sprach auf ihn ein, streichelte ihm den Kopf. Er begann zu
antworten: langsame, gemurmelte Worte. Ihre Hand hielt inne, als sie zuhörte.
»Sind hinten in diesen Wagen gefahren«, erklärte ich. »Es ist mein Wagen«,
sagte der Mann in Blau. »Die Polizei hat sie gestoßen«, sagte ich, »es ist
entsetzlich,

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