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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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Hände zwischen den Knien, den Hut noch irgendwie auf dem Kopf. Ich
schüttelte ihn. Er regte sich, befeuchtete sich die Lippen, machte ein widerstrebendes,
murmelndes, schläfriges Geräusch. Es war dasselbe Geräusch – sofort war es mir
wieder präsent –, das Du immer gemacht hast, wenn ich Dich für die Schule
weckte. »Zeit zum Aufstehn!« rief ich dann und zog die Vorhänge auf; und vom
Licht Dich wegdrehend, hast Du genauso gemurmelt. »Komm, Schatz, steht auf, es
ist Zeit!« hab ich Dir ins Ohr geflüstert, Dich nicht allzu sehr drängend und
mir Zeit lassend, bei Dir auf dem Bett zu sitzen und Dein Haar zu streicheln,
wieder und wieder, mit vor Liebe lebendigen Fingerspitzen, während Du Dich bis
zuletzt an den Leib des Schlafes klammertest. Sei es doch immer so! habe ich
dann gedacht, meine Hand auf Deinem Kopf, durchströmt von Liebe.
    Und nun Dein schläfriges,
behagliches Murmeln, wiedergeboren in der Kehle dieses Mannes! Sollte ich mich
auch neben ihn setzen, ihm den Hut abnehmen, das fettige Haar ihm streicheln?
Ein Schauder des Abscheus durchlief mich. Wie leicht es ist, ein Kind zu
lieben, und wie schwer zu lieben, was aus einem Kind wird! Einst, mit den
Fäusten an den Ohren und mit ekstatisch zugekniffenen Augen, schwamm auch
dieses Geschöpf im Schoß einer Frau, trank von ihrem Blut, Bauch an Bauch. Auch
er passierte die Pforte aus Knochen und kam in das Strahlen draußen, durfte
Mutterliebe kennenlernen, amor matris. Dann, im Laufe der Zeit, wurde er
ihr entwöhnt, sollte allein stehen und fing an, trocken zu werden,
zurückgeblieben, verkorkst. Ein abgesondertes Leben, beraubt wie jedes Leben;
doch in diesem Fall sicherlich unterernährter als die meisten. Ein Mann in
mittleren Jahren, noch immer an Flaschen saugend, nach der ursprünglichen
Seligkeit sich sehnend, in seinen Benommenheiten nach ihr greifend.
    Während ich
da stand und ihn betrachtete, kam diese Frau ins Zimmer. Ohne mich zu beachten,
stolperte sie zurück in ein Nest aus Kissen auf dem Fußboden. Sie stank nach
Eau de Cologne: meinem. Florence kam hinter ihr her, die Zähne zeigend.
    »Verlang
bitte keine Erklärung, Florence«, sagte ich. »Laß sie einfach in Ruhe, sie
schlafen etwas aus.«
    Florences Brille blitzte,
sie wollte etwas sagen, aber ich kam ihr zuvor. »Bitte! Sie werden nicht
bleiben.«
    Obwohl ich
die Toilette mehrmals spülte, blieb noch ein Geruch, widerlich süß und faul
zugleich. Ich warf die Fußmatte hinaus in den Regen.
    Später, als die Kinder mit
Florence in der Küche frühstückten, ging ich wieder nach unten. Ohne Vorrede
sprach ich Bheki an.
    »Mir ist zu Ohren gekommen,
daß du und dein Freund in meinem Wagen geschlafen habt. Warum hast du mich
nicht um Erlaubnis gebeten?«
    Schweigen. Bheki sah nicht
auf. Florence schnitt weiter Brot.
    »Warum hast
du mich nicht um Erlaubnis gebeten? Antworte!«
    Das kleine
Mädchen hörte auf zu kauen, blickte mich an.
    Warum
benahm ich mich so lächerlich? Weil ich gereizt war. Weil ich es leid war, mich
ausnutzen zu lassen. Weil es mein Wagen war, in dem sie schliefen. Mein Wagen,
mein Haus, mein Eigentum: noch war ich nicht weg.
    Dann
erschien glücklicherweise Vercueil, und die Spannung war gebrochen. Er ging
durch die Küche, weder nach links noch nach rechts blickend, und hinaus auf die
Veranda. Ich folgte ihm. Der Hund sprang an ihm hoch, hüpfend, tollend, voller
Freude. Auch mich sprang er an, mit seinen nassen Pfoten Streifen auf meinem
Rock hinterlassend. Wie albern man aussieht, wenn man einen Hund abwehrt!
    »Holen Sie bitte Ihre
Freundin aus dem Haus«, sagte ich zu ihm.
    Er blickte hinauf zu einem
bedeckten Himmel und gab keine Antwort.
    »Holen Sie sie sofort raus,
oder ich hole sie!« schrie ich wütend.
    Er
ignorierte mich.
    »Hilf mir«,
befahl ich Florence.
    Die Frau lag mit dem
Gesicht nach unten auf ihrem Kissenlager, unter dem Mundwinkel ein nasser
Fleck. Florence zupfte sie am Arm. Benommen stand sie auf. Halb führend, halb
schiebend, trieb Florence sie aus dem Haus. Auf dem Gehweg holte Vercueil uns
ein. »Das ist nun wirklich zuviel!« fuhr ich ihn an.
    Die zwei
Jungen waren mit ihrem Fahrrad bereits draußen auf der Straße. Sie taten so,
als bemerkten sie nichts von unserem Streit, und machten sich die Schoonder
Street hinauf davon, Bheki geduckt auf der Stange, sein Freund in die Pedale
sich legend.
    Mit heiserer Stimme begann
die Frau, Florence mit ausschweifenden Obszönitäten zu überschütten. Florence
warf mir einen

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