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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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noch hier wohnen? Schlafen sie in meinem Wagen, Florence?«
    Florence schüttelte den
Kopf. »Ich weiß nicht. Sie müssen sie selber fragen.«
    Mittag, und das Fahrrad war
noch immer da. Von den Jungen selber kein Zeichen. Aber als ich zum Briefkasten
hinausging, stand auf der anderen Straßenseite ein gelber Polizeikombi mit zwei
uniformierten Männern darin, der eine, auf meiner Seite, mit der Backe an der
Scheibe schlafend.
    Ich gab dem
Mann hinter dem Lenkrad ein Handzeichen. Der Motor erwachte zum Leben, der
Schläfer setzte sich auf, der Wagen kletterte auf den Gehsteig, machte eine
scharfe Kehrtwendung und blieb bei mir stehen.
    Ich erwartete, daß sie
ausstiegen. Aber nein, wortlos saßen sie da und warteten darauf, daß ich etwas
sagte. Ein kalter Nordwest blies. Ich hielt meinen Morgenmantel am Hals zu. Das
Funkgerät in dem Wagen knasterte. »Vier-die-agt«, sagte eine Frauenstimme. Sie
ignorierten sie. Zwei junge Männer in Blau.
    »Kann ich
Ihnen behilflich sein?« sagte ich. »Warten Sie auf jemanden?«
    »Ob Sie uns
behilflich sein können? Ich weiß nicht, Lady. Sagen Sie’s uns, können
Sie uns behilflich sein?«
    Zu meiner Zeit, dachte ich,
haben Polizisten respektvoll zu Frauen gesprochen. Zu meiner Zeit haben Kinder
keine Schulen in Brand gesteckt. Zu meiner Zeit: eine Redewendung, die
heute nur noch in Briefen an die Redaktion vorkam. Alte Männer und Frauen,
bebend vor gerechtem Zorn, die, als letzte Waffe, zur Feder griffen. Zu meiner
Zeit, vorbei jetzt; in meinem Leben, vergangen jetzt.
    »Falls Sie
diese Jungen suchen, so nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß sie sich mit meiner
Erlaubnis hier aufhalten.«
    »Welche Jungen, Lady?«
    »Die
Jungen, die hier zu Besuch sind. Die Jungen aus Guguletu. Die Schuljungen.«
    Aus dem
Funkgerät brach krachender Lärm.
    »Nein, Lady, mir ist nichts
bekannt von Jungen aus Guguletu. Wollen Sie, daß wir auf sie aufpassen?«
    Die beiden
wechselten einen Blick, belustigt, schien es. Ich faßte den Riegel des Tores.
Der Morgenmantel sprang auf, ich fühlte den kalten Wind am Hals, an der Brust.
»Zu meiner Zeit«, sagte ich, jedes alte, nicht mehr glaubwürdige, komische Wort
deutlich aussprechend, »hat ein Polizist zu einer Dame nicht so gesprochen.«
Und ich kehrte ihnen den Rücken.
    Das
Funkgerät zeterte hinter mir her wie ein Papagei; oder vielleicht waren sie es
und taten so, als käme das Geräusch aus dem Gerät, zuzutrauen war es ihnen.
Eine Stunde später stand der gelbe Kombi noch immer vor dem Tor.
    »Ich finde
wirklich, du solltest diesen anderen Jungen nach Hause schicken«, sagte ich zu
Florence. »Er wird deinen Sohn in Schwierigkeiten bringen.«
    »Ich kann
ihn nicht nach Hause schicken«, sagte Florence. »Wenn er geht, geht Bheki mit
ihm. Sie sind so.« Sie hielt eine Hand hoch, den Mittelfinger über den
Zeigefinger gelegt. »Sie sind sicherer hier. In Guguletu gibt’s dauernd Ärger,
und dann kommt die Polizei und schießt.«
    Schießereien in Guguletu:
Was immer Florence davon weiß, was Du, zehntausend Meilen weit weg, davon
weißt, weiß ich nicht. In den Nachrichten, die mich erreichen, ist keine Rede
von Unruhen und Schießereien. Das Land, das mir dargestellt wird, ist ein Land
lächelnder Nachbarn.
    »Wenn sie
hier sind, um wegzukommen von den Kämpfen, warum ist dann die Polizei hinter
ihnen her?«
    Florence holte tief Luft.
Seit der Geburt des Babys verbirgt sie ihre Empörung kaum noch. »Mich dürfen
Sie nicht fragen, Madam«, erklärte sie, »warum die Polizei hinter Kindern her
ist und sie jagt und auf sie schießt und ins Gefängnis steckt. Mich dürfen
Sie nicht fragen.«
    »Also gut,
ich werde diesen Fehler nicht noch mal machen. Aber ich kann mein Haus nicht
für alle Kinder, die aus den Townships fortlaufen, zu einem Zufluchtsort
machen.«
    »Warum denn nicht?« fragte
Florence, sich vorbeugend. »Warum nicht?«
    Ich ließ ein Bad einlaufen
und senkte mich langsam in das heiße Wasser. Warum nicht? Ich ließ den
Kopf hängen; das Haar fiel mir übers Gesicht, berührte mit den Spitzen das
Wasser; die Beine, marmoriert, blaugeädert, staken heraus wie Stöcke. Eine alte
Frau, krank und häßlich, die sich an das klammert, was ihr geblieben ist. Die
Lebenden, ungeduldig mit den lange Sterbenden. Die Sterbenden, neidisch auf die
Lebenden. Ein unappetitliches Schauspiel: hoffentlich bald vorbei.
    Keine
Klingel im Badezimmer. Ich räusperte mich und rief: »Florence!« Freiliegende
Rohre und weiße Wände warfen einen

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