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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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ganz entsetzlich. Es waren dieselben zwei Polizisten, die gestern
hier waren, da bin ich sicher.«
    Florence schob eine Hand
unter Bhekis Kopf. Langsam setzte er sich auf. An einem Fuß fehlte der Schuh;
ein Hosenbein war aufgerissen und naß von Blut. Behutsam zog er den Stoff zur
Seite und besah sich die Wunde. Die Handteller waren rohes Fleisch, die Haut
hing in Fetzen herab. »Der Rettungswagen ist unterwegs«, sagte ich. »Wir
brauchen den Rettungswagen nicht«, sagte Florence.
    Sie irrte sich. Der andere
Junge lag jetzt ausgestreckt auf dem Rücken. Mit seiner Jacke versuchte der
Klempner das Blut zu stillen, das ihm übers Gesicht lief. Aber es wollte nicht
aufhören zu laufen. Er lüpfte das Jackenbündel, und bevor es wieder dunkel
wurde von Blut, konnte ich kurz sehen, daß das Fleisch über der Stirn als loser
Lappen offen hing, wie von einem Fleischermesser abgetrennt. Blut lief dem
Jungen in die Augen und ließ sein Haar glänzen; es tropfte auf das Pflaster; es
war überall. Ich wußte nicht, daß Blut so dunkel sein konnte, so dick, so
schwer. Was für ein Herz muß er haben, dachte ich, daß dieses Blut pumpt und
weiterpumpt!
    »Kommt der
Rettungswagen?« sagte der Klempner. »Ich weiß nämlich nicht, wie ich das hier
stoppen soll.« Er schwitzte. Er veränderte seine Stellung, und sein Schuh,
voller Blut, schmatzte.
    Du warst elf, erinnere ich
mich, als Du Dir an der Brotmaschine den Daumen aufschnittest. Ich fuhr Dich
zur Notaufnahme des Groote Schuur Krankenhauses. Wir warteten auf einer Bank,
bis wir drankamen, Du mit Deinem in Mull gewickelten Daumen, und Du hast ihn
gedrückt, um das Bluten einzudämmen. »Was werden sie mit mir machen?« hast Du
geflüstert. »Du kriegst eine Spritze, und dann werden sie’s nähen«, hab ich
zurückgeflüstert. »Ein paar Stiche nur.«
    Es war an
einem frühen Samstagabend, aber schon wurden die ersten Verletzten
eingeliefert. Ein Mann in weißen Schuhen und einem krumpeligen schwarzen Anzug
spuckte dauernd Blut in eine Schale. Ein Jugendlicher auf einer Trage, nackt
bis zur Hüfte, der Gürtel offen, hielt sich ein durchweichtes Stoffknäuel auf
den Bauch. Blut auf dem Fußboden, Blut auf den Bänken. Was zählte da unser
furchtsamer Fingerhutvoll neben diesen Strömen schwarzen Blutes? Das
Schneeglöckchenkind, verirrt in der Höhle aus Blut, und verirrt auch seine
Mutter. Ein Land, das mit Blut nicht spart. Florences Mann, in gelber Ölhaut
und Gummistiefeln, watend in Blut. Umsinkende Ochsen, die Kehlen aufgeschlitzt,
letzte Blutstöße in die Luft spritzend wie Wale. Trockene Erde, das Blut ihrer
Geschöpfe aufsaugend. Ein Land, das Flüsse von Blut trinkt und nie satt wird.
    »Lassen Sie mich«, sagte
ich zu dem Klempner. Er machte Platz. Ich kniete mich hin und hob die
durchnäßte blaue Jacke beiseite. In stetem, gleichmäßigem Fluß lief dem Jungen
Blut übers Gesicht. Zwischen den Daumen und Zeigefingern drückte ich soviel wie
möglich von dem losen Fleischlappen zusammen. Vercueils Hund drängte sich
wieder herein. »Nehmen Sie diesen Hund weg!« fauchte ich. Der Klempner gab ihm
einen Tritt. Er jaulte auf und verzog sich. Wo war Vercueil? Stimmte es, war er
wirklich ein Nichtsnutz? »Gehn Sie nochmal anrufen«, befahl ich dem Klempner.
    Solange ich zukniff, konnte
ich den Fluß einigermaßen eindämmen. Doch sowie ich nachließ, rann das Blut
wieder gleichmäßig. Es war Blut, nichts weiter, Blut wie Deines und meines.
Aber noch nie hatte ich etwas so Scharlachfarbenes und so Schwarzes gesehen.
Vielleicht war es ein Effekt der Haut, junger, elastischer, dunkelsamtiger
Haut, über die es rann; aber auch auf meinen Händen schien es dunkler und
zugleich leuchtender zu sein, als Blut sein sollte. Ich starrte es an,
fasziniert, erschrocken, in einen wahren Stupor des Starrens hineingezogen. Und
doch war es unmöglich, in meinem tiefsten Sein unmöglich, mich dieser Starre
hinzugeben, nachzulassen und nichts zu tun, um den Fluß aufzuhalten. Warum?
frage ich mich jetzt. Und ich antworte: Weil Blut kostbar ist, kostbarer als
Gold und Diamanten. Weil Blut eins ist: ein Sammelbecken des Lebens, aufgeteilt
unter uns in separaten Existenzen, aber von Natur aus zusammengehörig:
geliehen, nicht geschenkt: Gemeingut, um treuhänderisch bewahrt zu werden:
scheinbar in uns lebend, aber nur scheinbar, denn in Wahrheit leben wir in ihm.
    Ein See von Blut, wieder
zusammengekommen: Wird es so sein am Ende der Tage? Das Blut von allen: ein
Baikalsee,

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