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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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scharlach-schwarz unter einem winterlichen blauen sibirischen
Himmel, ringsum Eisklippen, die schneeweißen Ufer bespült von Blut, zähflüssig,
träge. Das Blut der Menschheit, sich selbst wiedergegeben. Eine einzige Masse
Blut. Der ganzen Menschheit? Nein: an einer Stelle abgetrennt, hinter
Schlammdämmen im Karoo, eingezäunt von Stacheldraht, unter lodernder Sonne, das
Blut der Afrikaner und ihrer Zinspflichtigen, reglos, stagnierend.
    Blut,
heilig, verabscheut. Und Du, Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut,
jeden Monat in fremden Boden blutend.
    Seit
zwanzig Jahren blute ich nicht mehr. Die Krankheit, die mich jetzt frißt, ist
trocken, blutlos, langsam und kalt, von Saturn geschickt. Sie hat etwas,
wogegen das Denken sich sträubt. Schwanger geworden zu sein mit diesen
Gewächsen, diesen kalten, obszönen Geschwülsten; diese Brut über jeden
natürlichen Zeitraum hinaus in sich getragen und getragen zu haben, unfähig,
sie auszutragen, unfähig, ihren Hunger zu stillen: Kinder in mir, die jeden Tag
mehr fressen, nicht wachsen, sondern anschwellen, mit Zähnen, Klauen, immerzu
kalt und gefräßig. Trocken, trocken: zu fühlen, wie sie nachts sich wenden in
meinem trockenen Leib, nicht sich streckend und tretend, wie ein menschliches
Kind es tut, sondern ihren Winkel ändernd, eine neue Stelle zum Nagen findend.
Wie in den Leib eines Wirtstieres gelegte Insekteneier, zu Larven jetzt
gediehen und unerbittlich ihren Wirt auffressend. Meine Eier, in mir gewachsen.
    Mir,
meine: Worte, die hinzuschreiben mich
graust, und doch wahr. Meine Töchter der Tod, Schwestern für Dich, meine
Tochter das Leben. Wie schrecklich, wenn Mutterschaft zur Parodie ihrer selbst
wird! Ein altes Weib, das über einem Jungen kauert, die Hände verklebt von
seinem Blut: ein abscheuliches Bild, wie es jetzt in mir aufsteigt. Ich habe zu
lange gelebt. Tod durch Feuer der einzige noch bleibende anständige Tod. Ins
Feuer gehen, lodern wie Werg, fühlen, wie diese geheimen Teilhaber sich
ebenfalls winden und aufschreien im letzten Moment, mit ihren schrillen
unbenutzten Stimmchen; verbrennen und weg sein, es los sein, die Welt sauber
verlassen. Monströse Gewächse, Mißgeburten: ein Zeichen, daß man seine Zeit überschritten
hat. Dieses Land ebenfalls: Zeit für Feuer, Zeit für ein Ende, Zeit, daß
wächst, was aus Asche wächst.
    Als der
Rettungswagen kam, war ich so steif, daß ich auf die Füße gehoben werden mußte.
Als ich meine verklebten Finger von der Wunde löste, riß ich sie wieder auf.
»Er hat viel Blut verloren«, sagte ich. »Nichts Ernstes«, sagte der
Rettungssanitäter kurz. Er hob ein Augenlid des Jungen an. »Erschütterung«,
sagte er. »Wie ist es passiert?«
    Bheki saß auf dem Bett, die
Hose aus, die Hände in einer Schüssel mit Wasser; Florence kniete vor ihm und
verband ihm das Bein.
    »Warum hab
ich mich allein um ihn kümmern müssen? Warum bist du nicht geblieben und hast
geholfen?«
    Ich klang
nörglerisch, gewiß, aber hatte ich nicht recht?
    »Ich will nichts zu tun haben
mit der Polizei«, sagte Florence.
    »Das ist
nicht die Frage. Du gehst, und ich soll mich allein um den Freund deines Sohnes
kümmern. Warum muß ich diejenige sein, die sich um ihn kümmert? Ich habe nichts
zu tun mit ihm.«
    »Wo ist er?« sagte Bheki.
    »Sie haben
ihn ins Woodstock-Krankenhaus gebracht. Er hat Gehirnerschütterung.«
    »Was
bedeutet das, Gehirnerschütterung?«
    »Er ist
bewußtlos. Er hat sich den Kopf angeschlagen. Weißt du, warum ihr da
reingekracht seid?«
    »Die haben
uns gestoßen«, sagte er.
    »Ja, sie
haben euch gestoßen. Ich hab’s gesehn. Ihr habt Glück, daß ihr noch am Leben
seid, alle beide. Ich werde Anzeige erstatten.«
    Bheki und seine Mutter
tauschten einen Blick. »Wir wollen nichts zu tun haben mit der Polizei«,
wiederholte Florence. »Gegen die Polizei kann man nichts machen.« Wieder ein
Blick, so als wollte sie sich der Zustimmung ihres Sohnes vergewissern.
    »Wenn man sie nicht
anzeigt, werden sie sich weiter so verhalten, wie’s ihnen paßt. Selbst wenn man
nicht durchkommt damit, man darf nicht kuschen vor ihnen. Ich rede nicht nur
von der Polizei. Ich rede von Machthabern. Sie müssen sehen, daß man keine
Angst hat. Das ist eine ernste Sache. Sie hätten dich töten können, Bheki. Was
haben sie überhaupt gegen euch gehabt? Was habt ihr beiden denn vorgehabt, du
und dieser Freund von dir?«
    Florence
schloß den Verband um sein Bein mit einem Knoten und murmelte etwas zu

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