Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Kleid hinten in seinem Lincoln hing.
Er hatte vergessen, dass ich Max Kissberg traf.
Er hatte vergessen, dass heute mein sechzehnter Geburtstag war und dass es das schönste Geschenk für mich gewesen wäre, eine Verabredung mit Max zu haben.
Ich wusste, dass mein Dad einen schrecklichen Nachmittag gehabt hatte – es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass Brüder, die sich früher einmal sehr gern gehabt haben, sich plötzlich gegenseitig mit dem Tod bedrohen. Wenn mein Dad sich dazu entschlossen hatte, innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus Chicago zu fliehen, dann war alles offensichtlich noch viel schlimmer, als ich mir vorstellen konnte. Trotzdem tat es mir sehr weh, dass etwas, das mir so wichtig war, so leicht beiseitegewischt wurde. Ich bin nie ein Mensch gewesen, der besonders viel Aufmerksamkeit von der Außenwelt braucht. Aber ich bin in einem so geschützten Umfeld aufgewachsen, dass mein emotionales Zentrum ganz fest in meiner Familie verankert ist; wenn es um Aufmerksamkeit, Unterstützung und Motivation geht, bin ich fast ausschließlich auf sie fixiert. Und wenn es etwas gibt, das bei mir die Gleich-fang-ich-an-zu-heulen-Schmetterlinge im Bauch flattern lässt, dann ist es Geringschätzung – dieses einsame, leere Gefühl, nicht beachtet, ja, nicht einmal gesehen zu werden. Vor allem, wenn es von meinen Eltern ausgeht. Diese Schmetterlinge schlugen jetzt mit den Flügeln, und ich wischte mir die Augen und machte mich auf den langen Fußmarsch zu Gina.
Ich war sauer auf meinen Dad, weil er mir diese wichtigen Dinge über meine Familie nicht hatte anvertrauen wollen, aber noch mehr verletzte es mich, dass er nicht einmal »herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag« gesagt hatte.
Später, viel später, musste ich immer wieder an sein trauriges Winken denken.
Ich wünschte, ich hätte zurückgewinkt, denn das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.
9
Zehn Straßenkreuzungen später dachte ich nur noch daran, wie spät es schon war, und dass Max sich wahrscheinlich schon fragte, ob ich überhaupt noch kommen würde, und dass mein Kleid, das ich mit so viel Sorgfalt und Aufregung ausgesucht hatte, mit meinem Vater davongefahren war.
Und auch daran, wie komisch es war, dass Gina und ich zusammen zu dem Ball gingen.
In den letzten Jahren, in denen sie sich weiter ihrem Talent für Klatsch und Tratsch gewidmet und sich einen großen Kreis von Bekannten aufgebaut hatte, mit denen sie dauernd redete (was ich ausdrücklich nicht tat), hatten wir uns erst immer seltener gesehen und schließlich so gut wie gar nicht mehr. Die Warnung meiner Mutter sorgte ebenso wie Ginas wachsende Beliebtheit dafür, dass ich auf Abstand ging, aber auch wenn wir uns inzwischen auseinandergelebt hatten, so gab es zwischen uns doch immer diese Verbundenheit, wie sie durch eine ursprünglich einmal ganz enge Freundschaft entsteht. Sie war meine erste beste Freundin gewesen, und ich ihre. So etwas geht niemals völlig verloren, schon gar nicht, wenn man weiterhin dieselbe Schule besucht. Und so beschlossen wir, gemeinsam zum Ball zu gehen – aus Nostalgie, Neugier oder vielleicht auch wegen dieses alten Wettstreits zwischen uns, ob es Gina eines Tages nicht doch gelingen würde, mir eine Klatschgeschichte zu präsentieren, die so aufregend war, dass selbst ich mehr würde wissen wollen. Ein paar Tage zuvor hatten wir uns zufällig bei einer Schulversammlung getroffen und uns im Gedränge miteinander unterhalten, bis plötzlich das Thema Frühlingsball aufgekommen war. Sie hatte im Augenblick keinen festen Freund, aber sie wollte sich die Party trotzdem nicht entgehen lassen, und ich erzählte, dass ich mich dort zwar mit jemandem treffen wollte, aber allein hinging. Und dann zuckten wir die Achseln und beschlossen, gemeinsam loszuziehen.
Als ich bei ihr zu Hause ankam, völlig verschwitzt, weil ich den Weg halb gehend, halb laufend zurückgelegt hatte, genügte ihr ein Blick, dann hob sie eine Augenbraue und sagte: »Jeans, Baseballshirt und Chucks? Für einen Ball? Weißt du, das ist der Grund, weswegen wir nicht mehr so viel zusammen unternehmen. Nur zu deiner Information, Sara Jane … es herrscht allgemein Einigkeit darüber, dass du ein ziemlich komisches Mädchen bist.« Sie öffnete die Türen ihres Kleiderschranks, um mir irgendetwas zu leihen, aber leider ist es so, dass ich ziemlich groß und eher dünn bin, während Gina richtige Kurven hat. Ich probierte ein paar Röcke, aber sie waren mir zu kurz, und die
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