Colin-Saga 01 - Der Mond der Meuterer
hatten nur zu relativ wenigen der Terroristenlager, die von den Degenerierten angegriffen worden waren, direkten Kontakt gehabt; doch die Auswirkungen dieser Angriffe waren geradezu verheerend. Innerhalb von weniger als vierundzwanzig Stunden waren einunddreißig – einunddreißig! – der wichtigsten Hauptstützpunkte, Ausbildungs- und Basislager ausgelöscht worden – in einzelnen, makellos aufeinander abgestimmten Einsätzen, deren effiziente Vehemenz selbst Ganhar verblüfft hatte. Für die Degenerierten, deren er sich bediente, war der Schock noch größer gewesen: Im Dienste irgendeiner Sache zu sterben, das war eine Sache, doch selbst der größte religiöse Fanatiker und selbst der größte politische Eiferer mussten jetzt erst einmal innehalten und darüber nachdenken, was für ein gewaltiger Schlag den internationalen Terrorismus hier getroffen hatte.
Ganhar seufzte. Seine persönliche Stellung war hier gewaltig in Gefahr, und damit auch sein Leben, und es gab erschreckend wenig, was er dagegen tun konnte. Allein die Tatsache, dass er Anu bereits gewarnt hatte, irgendetwas könne sich dort zusammenbrauen, hatte ihn bisher gerettet, aber das allein würde nicht mehr lange ausreichen, um ihn zu schützen.
Dass seine Untergebenen unter den Zivil-Aktivisten nicht in der Lage waren, die Soldaten aufzuhalten, die im Dienste ihrer eigenen Regierung tätig waren oder ihn auch nur zu warnen, was als Nächstes zu erwarten wäre, war zutiefst erschreckend. Die Besatzung der Nergal musste das Militär noch in viel größerem Ausmaß infiltriert haben, als Ganhar befürchtet hatte, und wenn sie zu etwas Derartigem in der Lage waren: Was zu leisten waren sie dann wohl noch in der Lage, ohne dass er, Ganhar, davon erfuhr?
Und was noch wichtiger war: Warum taten sie das? Inannas Versuch, es damit zu erklären, ihr zunehmendes Alter hätte sie dazu gezwungen, einen Angriff vorzunehmen, solange sie noch genügend Imperiale hatten, um ihre gesamte Ausrüstung tatsächlich auch einzusetzen, ergab zwar in gewisser Hinsicht Sinn. Die letzten katastrophalen Angriffe indes waren allesamt nur mit terranischer Technik durchgeführt worden. Es setzte sehr sorgsame Planung voraus, die Aktivitäten von Terranern und Imperialen derart effizient miteinander zu verknüpfen, und das ließ darauf schließen, dass alle diese Einsätze bereits lange im Voraus durchdacht worden waren. Und das wiederum ließ vermuten, dass hier ein langfristiges Ziel erreicht werden sollte, das über die Vernichtung einiger mit Leichtigkeit wieder ersetzbarer Barbaren-Verbündeten weit hinausging.
So weit war Ganhar in seinen Gedanken ohne Schwierigkeit gekommen; bedauerlicherweise verriet ihm das immer noch nichts darüber, was diese Mistkerle denn nun beabsichtigten! So sehr er all seine Informationsquellen auch zu Höchstleistungen antrieb, er vermochte einfach keinen Grund dafür zu finden, dass sie derart abrupt ihr gesamtes Vorgehen in so grundlegender Art und Weise verändert hatten!
So ungefähr das Einzige, was seine Quellen für ihn tatsächlich geschafft hatten, war die Identifizierung eines der bisher nicht als solchen in Verdacht geratenen Degenerierten-Helfershelfer des Gegners. Nicht, dass das sonderlich hilfreich gewesen wäre, denn dieser Hector MacMahan war verschwunden. Das mochte bedeuten, dass der Feind es darauf abgesehen haben könnte, dass die Gegenseite auf diesen Mann aufmerksam würde, und das …
Die Klingel an der Tür zu seiner Kabine unterbrach seinen Gedankengang, und er richtete sich auf, rieb sich die verspannten Muskeln in seinem Nacken und sandte einen mentalen Befehl an den Schließmechanismus. Das Schott glitt zur Seite, und Kapitän Inanna trat ein.
Ganhars Augen weiteten sich ein wenig; denn die Medizinerin und ihn hätte man kaum als ›Freunde‹ bezeichnen können – tatsächlich war in etwa das Einzige, was sie gemeinsam hatten, ihre Abneigung Jantu gegenüber –, und noch nie zuvor hatte Inanna seine Privatunterkunft aufgesucht. Seine geistigen Antennen erzitterten regelrecht, und mit einer höflichen Handbewegung lud er sie ein, auf einem Sessel aus der Regierungszeit Ludwigs XIV. Platz zu nehmen, über dem ein Wandteppich aus der Tang-Dynastie des siebten Jahrhunderts hing.
»Guten Abend, Ganhar.« Sie setzte sich und schlug die langen, auffallend gut geformten Beine übereinander. Na ja, eigentlich waren es ja gar nicht ihre Beine, doch auch Ganhars Körper war im eigentlichen Sinne nicht ›sein‹
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