Colin-Saga 01 - Der Mond der Meuterer
noch nicht. Und er wird es auch erst erfahren, wenn die nächste Transplantation ansteht.«
Wieder erschauerte Ganhar. Gehirntransplantationen waren selbst mit Hilfe imperialer Technik eine knifflige Angelegenheit, und eine gewisse Anzahl Todesfälle waren mit größter Wahrscheinlichkeit unvermeidlich; doch Ganhar hatte immer angenommen, es sei Anu, der entschied, bei welchem Patienten es zu Komplikationen kommen würde. Er war nicht auf die Idee gekommen, diese Entscheidungen würde Inanna selbst treffen.
»Also«, fuhr sie mit freundlicher Stimme fort, »werden wir uns überlegen müssen, was wir in der Zwischenzeit mit ihm tun. Falls er jemals die Enklave verlassen würde, dann könnte er einen Unfall haben. Ich habe bereits darüber nachgedacht, und das wäre doch wirklich eine schöne Möglichkeit gewesen, gleichzeitig Kirinal, ihn und dich loszuwerden, findest du nicht? Du bist für die Durchführung sämtlicher externen Einsätze und aller sonstigen Tätigkeiten verantwortlich … er ist dein und Kirinals schlimmster Rivale … wer hätte sich nicht gefragt, ob nicht wohl ihr beide diejenigen gewesen seid, die das Ganze eingefädelt hätten?«
»Du hast eine sehr eigenwillige Technik, einen ›Verbündeten‹ davon zu überzeugen, dir zu vertrauen«, merkte Ganhar vorsichtig an.
»Ich beweise lediglich, dass ich dir gegenüber ehrlich sein kann, Ganhar. Empfindest du diese Offenheit nicht als beruhigend?«
»Nicht sonderlich.«
»Na ja, wahrscheinlich ist das sogar recht vernünftig von dir. Und genau darum geht es mir auch: Du bist viel klüger als Jantu – weniger verschlagen, aber klüger. Und weil das so ist, bin ich mir doch recht sicher, dass du dir für deine Pläne, Anu – und wahrscheinlich auch mich – aus dem Weg zu räumen, noch keinen konkreten ›Vollstreckungstermin‹ überlegt hast.« Ihre geistreiche Wortwahl ließ sie fröhlich lächeln. »Aber wenn du in dieser Gleichung nicht mehr auftauchen würdest, dann wäre Jantu sicherlich dumm genug, seinen Zug sofort zu machen. Er wäre natürlich erfolglos, aber das weiß er nicht; und ich bin mir sicher, dass es letztendlich zu offenen Kämpfen käme. Wenn das passierte, wäre es möglich, dass Anu oder ich zu den Opfern zählen würden, und das würde mir nicht gefallen.«
»Und warum sprichst du dann nicht mit Anu darüber?«
»Das Einzige, worauf man sich bei dir absolut verlassen kann, ist, dass du es immer und immer wieder schaffen wirst, mich zu enttäuschen, Ganhar! Du musst selbst wahnsinnig sein, wenn dir nicht klar ist, dass genau diese Beschreibung auf Anu in jedem Falle zutrifft. Der entsprechende Fachterminus dafür lautet übrigens, nur für den Fall, dass es dich interessieren sollte, ›Paranoia im fortgeschrittenen Stadium‹, kompliziert durch Größenwahn. Letzterer hat noch nicht das Ausmaß echter Wahnvorstellungen erreicht, aber es geht auf jeden Fall in diese Richtung. Und wenn wir schon so offen miteinander reden, dann sollten wir doch auch zugeben, dass ›Paranoia‹ in Situationen wie diesen durchaus eine Überlebensstrategie sein kann. Schließlich ist ein Paranoiker nur dann verrückt, wenn niemand hinter ihm her ist.
Aber es geht mir eigentlich darum, dass ich wahrscheinlich die einzige Person bin, der er überhaupt vertraut; und der einzige Grund dafür ist, dass ich sorgsam darauf geachtet habe, mich nicht in irgendwelche Intrigen hineinziehen zu lassen. Aber wenn ich ihn jetzt vor Jantu warnte, dann würde er sich unweigerlich fragen, ob ich mich nicht vielleicht dafür entschieden haben könnte, mich stattdessen auf deine Seite zu stellen. Er ist nicht gerade dafür bekannt, sonderlich maßvoll vorzugehen, und die einfachste Lösung für dieses Problem bestünde darin, uns drei einfach umzubringen. Und das würde mir auch nicht gefallen.«
»Und warum …«
»Vorsichtig, Ganhar!« Sie lehnte sich zu ihm herüber, ihre Augen waren hart wie zwei schwarze Opale, und ihre leise, sehr leise Stimme war fast nur noch ein Zischen. »Sei sehr, sehr vorsichtig, was du mir vorschlägst. Natürlich wäre das möglich. Ich bin schließlich sein Arzt. Aber ich werde das nicht tun. Nicht jetzt, und auch nicht später. Niemals. Vergiss das nicht!«
»Ich … verstehe«, erwiderte Ganhar und leckte sich über die Lippen.
»Das bezweifle ich.« Ihr Blick wurde sanfter, und aus irgendeinem Grunde verängstigte das Ganhar mehr als all die Härte, die sie vorher ausgestrahlt hatte, doch dann schüttelte sie den Kopf.
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