Collection Baccara Band 0297
Dann öffnete sie den Brief ihrer Mutter. Ein Scheck, als Trost dafür, dass sie nicht nach Hause kommen durfte, und eine Grußkarte lagen darin. Auf einmal bekam sie Heimweh.
„Kauf dir etwas Hübsches“, schrieb ihre Mutter. „Geld ist zwar vielleicht etwas unpersönlich, aber deinen Geschmack habe ich ja noch nie getroffen.“
Das ideale Geschenk für Menschen, die sich nicht gut genug kennen, dachte Josie. Oder denen es lästig war, sich auf die Suche nach etwas Persönlichem zu machen.
Die Tüte mit dem Abendessen war feucht geworden. Wahrscheinlich war der Deckel des Kaffeebechers aufgesprungen. Gerade wollte Josie nachsehen, als sie merkte, dass ihr Anrufbeantworter blinkte.
„Hallo, meine süße Josie. Ich denke an dich.“ Die Nachricht stammte von Lucas mit seinem typisch texanischen Tonfall. „Schade, dass du nicht hier bist. Ich habe natürlich schon von dir erzählt und ihnen Fotos von deinen Bildern gezeigt, vor allem von den Wasserspeiern. Alle waren begeistert.“
Seine Stimme klang weich und zärtlich. Sie hatten sich vor nicht allzu langer Zeit bei einer Vernissage kennengelernt, und Lucas hatte sich sofort heftig in sie verliebt.
„Nur meinem älteren Bruder haben sie nicht besonders gefallen“, berichtete Lucas jetzt. „Aber das sagt nichts. Mit moderner Kunst konnte er noch nie viel anfangen. Er behauptet, dass deine Wasserspeier wie große Ratten aussehen.“ Wie Ratten? Das traf sie. „Ruf mich doch bitte zurück.“
Mit einem Lächeln öffnete Josie die Tüte mit den Heidelbeeren. Einzeln schob sie die großen prallen Beeren in den Mund und brachte sie zum Platzen. Dann schenkte sie sich ein Glas Merlot ein.
Sie war weder einsam, noch hatte sie Heimweh!
Das war nicht der Grund, warum sie sich Lucas’ Botschaft noch einmal anhörte. Vor drei Tagen hatte sie ihn zum Flughafen gebracht, und wie immer hatte er seine kunstvoll verzierten Stiefel, Jeans und einen Cowboyhut getragen.
„Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich meiner Familie endlich von dir erzählen kann.“
„Viel zu erzählen gibt es ja nicht.“
„Trotzdem.“ Er hatte seinen Lederhandschuh mit dem schwarzen geschwungenen R darauf, das für seinen Familiennamen stand, ausgezogen und ihr mit der Fingerspitze gegen die Nase gestupst. „Aber irgendwann werde ich ganz viel zu erzählen haben. Es hängt nur von dir ab.“
Wie lange würde das noch dauern? Ob sie jemals über Barnardos Verrat hinwegkam?
„Es ist nur … Ich meine, nach Barnardo und diesem – diesem schrecklichen Videoauftritt …“ Sie hatte sich unterbrochen. „Ich habe meiner Familie versprechen müssen, dass ich mich vorläufig mit keinem Mann mehr einlasse.“
„Aber gegen mich hätten sie bestimmt nichts. Schließlich bin ich ein Ryder.“
„Das klingt, als wäre das etwas ganz Besonderes.“
„In Texas ist es das auch. Warum könnte ich mir sonst wohl leisten, in Paris im selben Block zu leben, wo Hemingway früher gewohnt hat?“
Offenbar hatte Ernest Hemingway, bevor er berühmt wurde, mit Frau und Kind ebenfalls in der Rue du Cardinal Lemoine gewohnt. Und wie Hemingway war auch Lucas entschlossen, im Ausland zu leben und große Romane zu schreiben, die sich um männliche Helden drehten.
Josie musste lächeln. Lucas war sich seiner selbst so sicher. Damit erinnerte er sie an ihre beiden großen Brüder. Sie selbst war so ganz anders.
Sie trank einen Schluck und versuchte, nicht an den alten Kahn im Bayou und die Bruchbude zu denken, in der sie die ersten dreizehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte.
Stattdessen hob sie das Glas auf Lucas und die sorgenfreie Zukunft, die er versprach. Er war nicht wie Barnardo, das war ein großes Glück. Nach einem kleinen Zögern hob sie das Glas noch einmal auf ihre Familie. Eines Tages werden sie alle auf mich stolz sein, schwor sie sich.
Lucas . Josie schloss die Augen und versuchte, sich vorzustellen, wie das Leben mit ihm zusammen wohl wäre. Aber sobald sie seine Hände, seine Augen vor sich sah, verschwamm sein Gesicht, und an seine Stelle trat das Bild eines großen, unglaublich gut aussehenden, geheimnisvollen, fast bedrohlich wirkenden Fremden.
Josie wurde es heiß vor Scham. Sie trat wieder ans Fenster und sah in den dunklen Hof hinaus. Ob hinter einem der lichtlosen Fenster jemand wartete, der genauso einsam war wie sie? Ein Mann, der ihr gefährlich nahekommen könnte – der Mann, von dem sie träumte? Ihr Herz klopfte schneller, und sie trank einen Schluck Wein.
Dann gab
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