Collection Baccara Band 325 (German Edition)
dann fuhr er mit den Fingern sanft die Form ihrer Ohrmuschel nach. „Wie wäre es, wenn du mir hilfst, an meinen Fähigkeiten zu arbeiten? Ich möchte auf keinen Fall eine andere Frau enttäuschen.“
„Das ist jetzt nicht der richtige Moment für Witze. Du brauchst keinen Nachhilfeunterricht, und für uns beide gibt es keine gemeinsame Zukunft. Das hier hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir leid.“
„Es tut dir leid?“, fragte er zweifelnd. „Was genau tut dir denn leid?“
„Ich weiß, du bist verletzt und wütend, und vielleicht möchtest du dich sogar rächen. Aber sag bitte, bitte niemandem etwas davon, was hier geschehen ist.“ Mit diesen Worten wandte Scarlet sich von ihm ab, bevor er noch irgendetwas tun oder sagen würde, um sie zurückzuhalten. Würde er das? Sie musste weg von ihm, um in Ruhe nachzudenken. Hastig griff sie nach ihrer Handtasche, verließ die Wohnung und nahm die Treppe, nur um nicht auf den Aufzug warten zu müssen.
Der Portier wünschte ihr eine gute Nacht, als sie das Gebäude verließ: Kalte, feuchte Nachtluft schlug ihr entgegen, und ihr fiel ein, dass sie ihren Mantel vergessen hatte. Aber sie konnte jetzt nicht wieder nach oben gehen, um ihn zu holen. Genauso wenig wollte sie sich auf den Heimweg zum Stadthaus ihrer Großeltern machen, in dem sie sich mit ihrer Schwester das oberste Stockwerk teilte. Sie beschloss, in einem Hotel zu übernachten, wo sie sich eine Flasche Wein aufs Zimmer bringen lassen und in aller Ruhe ein heißes Bad nehmen konnte. Dann hätte sie Zeit, um darüber nachzudenken, was sie an diesem Abend alles falsch gemacht hatte.
Allerdings war es ihr nicht falsch vorgekommen, in Johns Armen zu liegen. Ganz im Gegenteil: Es hatte sich genau richtig angefühlt. Er war nicht länger der Verlobte ihrer Schwester, also hatte sie auch keinen Ehrenkodex gebrochen. Sie und Summer hatten sich im Alter von acht Jahren geschworen, dass sich keine von ihnen jemals für die andere ausgeben würde. Zwar hatte sie als Scarlet Johns Apartment aufgesucht. Doch ihr war sofort klar gewesen, dass er sie für Summer hielt – ein Irrtum, den sie erst aufgeklärt hatte, als es für sie beide viel zu spät war, um noch einen Rückzieher zu machen. Aber wenn es ihm nicht selbst aufgefallen wäre, hätte sie es ihm gesagt … oder etwa nicht?
Sicher, natürlich hätte sie das getan. Ganz bestimmt. Höchstwahrscheinlich.
Also … ein Bad, ein Glas Wein und Zeit zum Nachdenken. Das würde genügen, um John Harlan ein für alle Mal zu vergessen.
Und am Morgen würde sie sich wieder gut fühlen.
Richtig gut.
2. KAPITEL
Anfang April
Scarlet sah auf ihre Armbanduhr. Viertel nach zwölf. Sie vergewisserte sich, dass ihr Handy eingeschaltet war. Es war an. Kein entgangener Anruf, keine Nachrichten auf der Mailbox. Sie runzelte die Stirn. Es war nicht Summers Art, sie einfach warten zu lassen. Erst recht nicht eine Viertelstunde lang. Allerdings hatte Summer ihre Berechenbarkeit verloren, sich wie zum Beweis mit Zeke Woodlow verlobt, und das nicht einmal einen Monat nach dem Ende ihrer Verlobungszeit mit …
Scarlet ließ den Gedankengang unvollendet. Da war neuerdings dieses Funkeln in Summers Augen und etwas Beschwingtes in ihrem Gang, das sie an ihrer Schwester nicht kannte. Summer war von einer völlig neuen Aura umgeben, und zumindest dafür war Scarlet Zeke dankbar.
Solange er ihr nicht wehtat …
Scarlet setzte ein etwas angestrengtes Lächeln auf und winkte einer Kollegin zu, dann spießte sie ein Stück Avocado von ihrem Salatteller auf. Es war gut, dass sie in der Firmenkantine einen Platz an einem Tisch ganz am Rand gefunden hatte. Für sie gab es kaum etwas Schlimmeres, als in der Öffentlichkeit allein zu essen. Und das wusste Summer ganz genau. In der Kantine wurde jedes Geräusch von den Wänden zurückgeworfen, sodass ein ständiger Hall in der Luft hing, was es unmöglich machte, einen klaren Gedanken zu fassen. Hinzu kam, dass das fünfundzwanzig Stockwerke hohe Gebäude an der Park Avenue sich im Eigentum von EPH befand, der Elliott Publication Holdings. Das Unternehmen ihrer Familie war mit einer großen Bandbreite an Zeitschriften und Illustrierten auf dem Markt vertreten – und Scarlet in der Kantine so bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Jeder wusste, wer sie war, zumal sie schon immer für mehr als genug Gesprächsstoff gesorgt hatte.
Sie hätte sich mit Summer in dem kleinen Lokal einen Block weiter verabreden sollen.
„Wartest du
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