Collection Baccara Band 335 (German Edition)
Dann holte er tief Luft, schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Seine Miene war ernst, als er ihren Blick suchte.
„Wie ist deine Schwester denn verschwunden? Und wo? Erzähl mir davon.“
„Damals waren wir acht Jahre alt“, begann Abby bedächtig. „Meine Eltern sind mit uns in den Franklin Mountains in El Paso campen gefahren. Wir Kinder waren ziemlich laut und unruhig, also schickten sie uns nach draußen zum Toben. Nachdem wir eine Weile Verstecken und Fangen gespielt hatten, verfolgten wir einen wilden Truthahn. Irgendwann merkte ich, dass die Sonne unterging und dass wir uns weit vom Zelt entfernt hatten. Da bin ich umgedreht, um zurückzulaufen. Becky hat gerufen, ich solle auf sie warten, aber das habe ich nicht getan, obwohl ihre Stimme sehr ängstlich klang.“
„Und dann?“
„Ich habe sie nie wiedergesehen. Niemand hat das“, flüsterte sie.
Leo drückte ihre Hand, die immer noch in seiner lag. Sein Blick war voller Mitgefühl.
„Mein Vater dachte, es wäre seine Schuld. Er hatte kurz zuvor ein paar Artikel veröffentlicht. Es ging darin um mexikanische Drogenhändler, und sie enthielten einige unbequeme Enthüllungen. Er glaubte, dass man sie entführt und über die Grenze gebracht hatte. Ich wusste aber, es war meine Schuld. Ganz allein meine Schuld. Wenn ich nicht weggerannt wäre und sie alleingelassen hätte, wäre sie vermutlich nicht verschwunden. Vielleicht hätten meine Eltern sich dann auch nicht scheiden lassen. Und vielleicht wäre meine Mutter nicht so früh gestorben.“ Abby brach ab, schluchzte und wischte sich die Tränen von den Wangen.
„Sei nicht so hart mit dir.“ Leo reichte ihr ein Papiertaschentuch. „Hier, putz dir die Nase.“
„Deshalb spreche ich nie von ihr“, sagte sie schluchzend. „Ich versuche sogar, nicht an sie zu denken. Sie hatte Angst, und ich habe sie in der Dunkelheit alleingelassen. Ich wage gar nicht, mir vorzustellen, was ihr alles zugestoßen sein kann.“
„Das ist mehr als verständlich“, sagte er und blickte sie eindringlich an. „Vorhin hast du mich gefragt, was ich davon halte, wenn du dich an Connor wendest. Ich glaube, du solltest ihn anrufen und ihm alles über Becky erzählen. Wirklich alles.“
„Das ist schon so lange her. Ich wage kaum zu hoffen, dass noch eine Chance besteht.“
„Es wäre einen Versuch wert, meinst du nicht? Vielleicht wird Connor uns überraschen.“
Er legte einen Arm um sie. Diese Geste war so tröstlich, dass Abby den Gurt abschnallte und sich an Leo lehnte. Sie wünschte, er würde die Unterhaltung fortsetzen, denn sie hätte ihm gern noch mehr von Becky erzählt, aber er hüllte sich in Schweigen.
„Leo?“, fragte sie nach einer Weile. „Ist alles in Ordnung? Habe ich irgendetwas getan oder …“
„Es ist alles okay. Ich bin nur müde.“
Abby hatte da ihre Zweifel, denn seine Anspannung schien eher schlimmer zu werden. Nach der Landung fuhr er sie zu ihrem Ranchhaus, ohne ein Wort von sich zu geben. Unterwegs machten sie halt, um in einem Supermarkt Lebensmittel einzukaufen, und nachdem er zu Hause das Gepäck und die Tüten mit ihren Einkäufen ausgeladen hatte, teilte er ihr mit, er hätte eine Menge nachzuholen, und verschanzte sich für Stunden in ihrem Gästezimmer, um endlose Telefonate zu führen. Sie selbst benötigte nur fünf Minuten, um mit Kel telefonisch die wichtigsten Ereignisse in der Agentur abzuklären. Da Leo offenbar nicht vorhatte, zum Abendessen zu erscheinen, begnügte sie sich mit Vollkornbrot, Hüttenkäse und rohen Karotten.
Wie schon in ihrer Hochzeitsnacht duschte sie ausgiebig, bürstete ihr Haar, bis es glänzte, und schlüpfte in ein gewagtes Nachthemd. Als Leo endlich ins Bett kam, gab er ihr nur einen Kuss auf die Wange, rollte sich auf die andere Seite der Matratze und drehte ihr den Rücken zu.
Abby blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und fragte sich verzweifelt, weshalb er so abweisend war.
„Leo?“
„Ja?“
„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
„Ich bin nur müde“, sagte er leise. „Du solltest versuchen, jetzt zu schlafen.“
Sie waren bei dem Feuer beide dem Tod sehr nahe gekommen, und sie war seit zwei Tagen seine Frau und wollte in seinen Armen liegen und ihn in sich spüren, aber sie würde nicht betteln.
Sie sollte versuchen zu schlafen?
Als ob das möglich wäre.
Der digitale Wecker auf dem Nachttisch an seiner Bettseite zeigte zwei Uhr, als Abbys Atemzüge schließlich tief und regelmäßig wurden. Endlich,
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