Collection Baccara Band 335 (German Edition)
würde von seiner Existenz erfahren.
Sie nahm an, Leo war in den letzten Tagen in San Antonio geblieben und hatte seine Ranch namens Little Spur, die ihm zusammen mit seinem Bruder gehörte, gemieden, denn sie lag direkt neben ihrer eigenen. Seit seinem Ultimatum hatte sie weder ihn noch seinen schwarzen Geländewagen gesehen. Verständlicherweise hatte sie nach ihm Ausschau gehalten. Pech gehabt, Leo Storm, dachte sie ironisch. Du hättest deine Hose eben besser geschlossen gelassen.
Das Letzte, an das sie jetzt denken wollte, war die Nacht mit ihm. Trotzdem drängten sich ihr die Bilder auf, wie sie in der Bar ziemlich hemmungslos miteinander tanzten. Seine körperliche Nähe hatte an dem Abend heftiges sexuelles Verlangen in ihr ausgelöst, und als er sie geküsst hatte und seine Hände über ihren Körper hatte gleiten lassen, war sie dahingeschmolzen wie Eis in der Sonne.
Später dann, in seinem Loft in der Innenstadt von San Antonio, war sie auf den Esstisch gestiegen und hatte einen Strip hingelegt, der keine Fragen offen ließ. Am nächsten Morgen war sie neben seinem warmen sonnengebräunten Körper aufgewacht und wollte nur eins, so schnell wie möglich weglaufen und alles vergessen.
Sie fürchtete sich davor, ihn wiederzusehen, und hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie er auf ihre Eröffnung reagieren würde.
„Warum sagst du es ihm nicht einfach?“, hatte Kel vorgeschlagen. „Tu es endlich. Dann hast du es hinter dir. Du wirst sehen, nach einer Woche denkst du gar nicht mehr daran.“
„Das sagt sich so leicht. Du hast aber nicht meine Erinnerungen“, hatte sie erwidert.
Es gab Dinge, die man nicht vergessen konnte.
Sie hatte Kel niemals von dem schrecklichen Nachmittag berichtet, an dem zwei absolut gleich aussehende achtjährige Mädchen in den Franklin Mountains einen Pfad hinaufgerannt waren, um einen wilden Truthahn zu verfolgen. Der einsetzende Sonnenuntergang hatte Beckys Haar feurig schimmern lassen, die Wangen ihres schmalen Gesichts waren vom Laufen gerötet gewesen.
„Warte!“, hatte Becky gerufen. „Warte auf mich.“
„Nein, komm schon“, hatte sie zurückgerufen, war weitergerannt und hatte erwartet, dass ihre Zwillingsschwester ihr wie üblich folgen würde. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie Becky gesehen hatte.
Abby öffnete die nächste Schublade. Sie träumte noch immer von Becky. Und nun kamen auch noch Träume von dem Baby dazu. Dabei hatte sie niemals mehr Teil einer Familie sein wollen, damit ihr nie wieder jemand wehtun konnte.
Die Schwangerschaft machte ihr jedoch einen Strich durch die Rechnung. Mit dem Kind, das sie erwartete, ging sie das Risiko ein, erneut verletzt zu werden. Dennoch war sie fest entschlossen, das Baby zu bekommen. Ein Schwangerschaftsabbruch kam für sie nicht infrage, denn insgeheim sehnte sie sich nach einer Familie, trotz allem oder vielleicht gerade deswegen. Sie hatte erfahren, wie schnell man Fehler begehen konnte, die nicht wiedergutzumachen waren.
Denk nicht an Becky, ermahnte sie sich und schloss die Finger um ein Stück Papier. Es war nicht Leos Visitenkarte, sondern die Weihnachtspost, die sie von ihrem Vater erhalten hatte.
Der Geldschein, den er mit dem Kartengruß in den Umschlag gesteckt hatte, befand sich immer noch darin. Ihr Vater wäre nie auf die Idee gekommen, Weihnachten zusammen mit ihr zu verbringen. Sein Geschenk hatte aus dieser Karte mit den fünfzig Dollar bestanden, die zwei Wochen zu spät bei ihr angekommen war. Da hatte sie die Hoffnung, dass er an sie dachte, bereits aufgegeben.
Für einen kurzen Moment ließ sie den Gedanken an das letzte Weihnachtsfest vor Beckys Verschwinden zu. Ihre Schwester und sie waren übereingekommen, vor ihren Eltern so zu tun, als glaubten sie noch an den Weihnachtsmann. Sie hatten Kekse gebacken und sie neben einer mit Milch gefüllten rosa Puppentasse auf den Tisch beim Kamin gelegt, damit Santa Claus sich stärken konnte.
Plötzlich fühlte Abby sich unendlich allein und verlassen und legte in einer beschützenden Geste die Hände auf ihren Bauch. Als Kind hatte sie sich nie einsam gefühlt. Sie hatte ja einen Zwilling, einen Menschen, mit dem sie alles teilte. Sie dachte an ihre gemeinsamen Ballettstunden, an die identischen Tutus und die Ballettschuhe. Beides war rosa gewesen, Beckys und ihre Lieblingsfarbe.
Denk nicht an Becky.
Abby schob den Umschlag wieder unter ihren Pullover und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Eins wusste sie genau,
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