Verliebt in eine Diebin - Roman
1
Matilda Goodnight trat von ihrem neuesten Wandgemälde zurück und erkannte, dass die Reproduktion der Van-Gogh-Sonnenblumen, die in Clarissa Donnellys Esszimmer vom Boden bis zur Decke reichte, alle anderen Verbrechen ihrer vierunddreißig Lebensjahre übertraf. Diesem Werk würde sie zweifellos das ewige Höllenfeuer verdanken. Vielleicht hätte ihr der liebe Gott die Botticelli-Venus in dem Badezimmer in Iowa und die Uccello-Schlachtszene im Sitzungssaal in New Jersey verziehen, und mit etwas Glück sogar die Bosch-Orgie, die sie in einem Schlafzimmer in Utah gemalt hatte. Aber diese riesigen, grellen Sonnenblumen würden allen himmlischen Fässern den Boden ausschlagen. »So ein großartiges Talent habe ich dir geschenkt«, würde der Allmächtige am Jüngsten Tag zu ihr sagen. »Und das hast du damit gemacht.«
Tilda spürte, wie sich ihre Lungen verkrampften, und griff in ihre Hosentasche, um festzustellen, ob sie ihr Inhalationsgerät eingesteckt hatte.
An ihrer Seite verschränkte Clarissa die kleinen dünnen Arme vor dem Chenille-Pullover und blinzelte die bräunlichgelben Blumen an. »Genau wie seine , nicht wahr?«
»Ja«, stimmte Tilda bedauernd zu und reichte ihr den Museumsdruck vom Original.
»Die Blumen sehen so - böse aus«, meinte Clarissa.
»Nun...« Tilda schloss ihren Malkasten. »Weil er verrückt war.«
Clarissa nickte. »Das habe ich gehört. Sein Ohr.«
»Klar, da gab’s eine Menge Publicity.« Tilda schlüpfte aus ihrem Malkittel. »Wenn ich meinen letzten Scheck haben könnte …«
»Haben Sie das Bild signiert? Das müssen Sie tun. Jeder soll sehen, dass es ein echtes Matilda-Veronica-Fresko ist.«
»Ja, ich hab’s signiert.« Tilda zeigte mit der Spitze ihres beklecksten Leinenschuhs auf den unteren Rand ihres Gemäldes, an den sie »Matilda Veronica« hingekritzelt hatte. »Da. Jetzt muss ich gehen...«
»Haben Sie etwa ›Van Gogh‹ hingeschrieben?« Clarissa bückte sich. »Wäre das eine Fälschung?«
»Nur wenn er eine Kentucky-Fresken-Periode hatte, von der wir nichts wissen.« Tilda holte tief Luft. »Also, der Scheck …«
»Schreiben Sie den Namen größer hin«, verlangte Clarissa und richtete sich auf. »Alle Leute sollen wissen, wer das Bild gemalt hat. Die Zeitschrift mit dem Artikel über Sie lege ich auch hierher. Dann sehen alle, dass dieses Gemälde ein echtes Matilda-Veronica-Werk ist...«
Schon vor Tagen hatte Clarissas Begeisterung für das Markenzeichen dieses Namens jeden Reiz verloren, und so wechselte Tilda das Thema. »Spot war mir eine wertvolle Hilfe«, betonte sie, wies mit dem Kinn auf Clarissas lang gestreckten kleinen Hund und vertraute auf die Theorie, dass Leute sich immer freuen, wenn man ihre Haustiere erwähnt.
»Sein Schwanz verdeckt fast Ihren Namen.«
Tilda ließ ihre Brille die Nase hinabrutschen. Über den Rand der Gläser hinweg musterte sie Spot, der zu ihren Füßen zitterte. Auf dem Bild hatte sie ihm ein Face-Lifting verpasst, denn seine Knopfaugen über der langen spitzen Schnauze berührten sich beinahe. Auch die grauen Streifen in seinem dunklen Zottelfell hatte sie gemildert, damit sein Konterfei
nicht allzu unangenehm an einen winzigen mutierten Wolf erinnerte.
»Signieren Sie das Bild noch einmal«, forderte Clarissa. »Am oberen Rand. In großer Schrift.«
»Nein. Alle werden die Signatur da unten sehen, wenn sie Spot mit seinem Porträt vergleichen. Das tun die Leute ganz sicher - sie schauen den Hund an, dann das Gemälde...«
»Keineswegs!«, widersprach Clarissa triumphierend. »Ich bringe ihn noch heute in den städtischen Zwinger zurück.«
»Was - Sie bringen Ihren Hund in den Zwinger?« Bebend presste sich Spot an Tildas Beine und verzierte ihre Jeans großzügig mit grauen Haaren.
»Er ist nicht mein Hund. Da Sie immer Hunde in ihre Wandgemälde einfügen...«
»Oh nein, das stimmt nicht.«
»Es steht in diesem Artikel, und deshalb musste ich mir einen Hund besorgen. Sonst glauben die Leute, das wäre kein echtes Matilda-Veronica-Fresko. Also ging ich in den Zwinger und lieh mir den einzigen reinrassigen Hund aus, den sie dort hatten.«
»Spot ist reinrassig?« »Natürlich, ein silbrig gestromter Langhaardackel. Im Zwinger wird’s ihm gut gehen. Daran ist er gewöhnt. Ich bin schon die dritte Interessentin, die ihn vorübergehend adoptiert hat.«
Wortlos zog Tilda ihr Inhalationsgerät hervor und atmete tief ein. Wenn man darüber nachdachte, ergab das Ganze einen gewissen Sinn. Clarissa
Weitere Kostenlose Bücher