Collection Baccara Band 336
westlichen Seite des Gebäudes, nicht auf der östlichen.
Allerdings konnte sie nicht erwarten, dass die Sonne ihren Lauf änderte, nur weil sie den Tag verschlief.
Angetrieben von einem Schub kreativer Energie hatte sie die Nacht durchgearbeitet. Alle vier Zeichnungen waren vollendet, die letzte hatte sie kurz vor Sonnenaufgang fertiggestellt, dann war sie in voller Bekleidung erschöpft ins Bett gesunken. Case war wenig später gegangen. Sie erinnerte sich nicht an den genauen Zeitpunkt, denn sie war zu müde gewesen, um auf die Uhr zu schauen. Sie wusste nur noch, dass er sie zugedeckt und sie geküsst hatte.
Unwillkürlich musste sie lächeln. Seine Bartstoppeln hatten dabei an ihrer Wange gekratzt. Es war fast unglaublich, dass er tatsächlich die ganze Nacht geblieben war. Er war Zeuge ihres kreativen Ausbruchs geworden, ohne je gelangweilt zu wirken. Während der ersten beiden Zeichnungen stand sie zwischen seinen Knien, und er schaute ihr über die Schulter. Und als sie nicht mehr stehen konnte, hatte er sie auf seinen Schoß gezogen und die Arme um ihre Taille gelegt.
Was für ein Mann tat so etwas? Sicherlich nicht die Art Mann, für die sie Case gehalten hatte. Sein Verhalten war weder egoistisch noch rücksichtslos, seine Kommentare waren aufmunternd und konstruktiv gewesen. Ohne ihn hätte sie vermutlich weiter tagelang erfolglos und frustriert am Zeichentisch gesessen. Seine Fragen und seine Unterstützung hatten ihr geholfen, die Blockade zu überwinden und so lange durchzuhalten, bis sie die Aufgabe erledigt hatte.
Das Telefon klingelte. Sie ahnte schon, dass der Anrufer Case war, und nahm das Mobilteil von der Station auf ihrem Nachttisch. „Hallo?“, meldete sie sich.
„Guten Morgen“, erwiderte er gut gelaunt.
Beim Klang seiner Stimme durchrieselte sie ein Schauer. „Es ist bereits Nachmittag.“
„Habe ich dich aufgeweckt?“, erkundigte er sich besorgt.
„Nein, ich war schon wach.“
„Hast du gut geschlafen?“
„Wie eine Tote. Und du?“
„Auch. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Zeichnen so anstrengend ist.“
Sie musste lachen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du gezeichnet hättest.“
„Dann erklär mir mal, warum ich einen Krampf in den Fingern habe.“
„Vielleicht deshalb, weil du mich die ganze Nacht auf dem Schoß gehalten hast“, schlug sie vor.
„Ach ja.“ Er seufzte erinnerungsselig. „Das wird es sein. Hast du schon Pläne für heute Abend?“
„Eigentlich nicht.“
„Dann lass uns gemeinsam essen. Meine Eltern sind gerade aus Australien zurückgekommen. Die ganze Familie versammelt sich bei uns, um sie willkommen zu heißen.“
„Ich möchte auf keinen Fall eine Familienfeier stören“, sagte sie in einem Anflug von Panik.
„Du störst überhaupt nicht. Es ist nur ein kleines privates Abendessen im Familienkreis. Alle werden sich freuen, wenn du uns Gesellschaft leistest.“
„Ich weiß nicht, Case. Ich habe nicht besonders viel Erfahrung mit Familientreffen. Ich bin ein Einzelkind“, wandte sie unbehaglich ein.
„Das macht doch nichts. Weißt du was? Das Essen ist für sieben Uhr geplant. Ich hole dich um sechs ab und mache eine kleine Führung durch das Haus mit dir. Dann kannst du vorher schon ein paar Familienmitglieder kennenlernen und kommst dir nicht gar so überrumpelt vor.“
Trotz seiner Versicherung kam Gina sich überrumpelt vor. Und überwältigt. Von dem Moment an, als Case den gewundenen Zufahrtsweg des gigantischen Anwesens der Fortunes entlangfuhr, bis er vor dem mächtigen Wohnsitz der Familie anhielt, fühlte sie sich von der majestätischen Ausstrahlung der Anlage geradezu erschlagen. Das felsengraue Gebäude im gotischen Stil hatte drei Stockwerke und wirkte vor dem bleiernen Himmel wie eine Festung. Rechts und links vom Haupthaus erstreckten sich ausgedehnte einstöckige Flügelanbauten. Gina hörte beim vierten Schornstein auf zu zählen und schaute nur noch.
Fürsorglich nahm Case ihre Hand. „Keine Angst. Es sieht vielleicht etwas gruselig aus, aber ich kann dir versichern, dass hinter diesen Mauern keine Gespenster ihr Unwesen treiben.“
„Gut zu wissen.“ Sie stieß den angehaltenen Atem aus.
Er stieg aus und umrundete den Wagen, um ihr galant die Beifahrertür zu öffnen. „Den Außenbereich sparen wir uns für einen wärmeren Tag auf“, sagte er und führte sie zum gewaltigen Eingangsportal.
Als sie das Haus erst einmal betreten hatte, ließ sie erleichtert die Schultern sinken. Mochte es von
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