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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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von einem kleinen, unterirdischen Fluss kam. Dort kauerte eine Gestalt am Wasser, wandte ihm den Rücken zu, offenbar ohne den Eindringling zu bemerken. Ein alter Mann, der Kleidung nach kein Sarazene. Er schien etwas in dem kleinen Fluss zu waschen.
    »He! Dreh dich um!«, rief Jean de Vezelay auf Provenzalisch und zog sein Schwert.
    Der Alte stieß einen langen Seufzer aus, richtete sich mühsam auf und wandte sich zu ihm um. Weder wirkte er erschrocken, noch schien er sich vor Vezelay zu fürchten. Es schien eher, als habe er ihn erwartet.
    »Also ist es endlich so weit«, sagte der Alte mit leiser Stimme, in der Erleichterung mitschwang. Die Erleichterung, von einer großen Last erlöst zu werden. Überrascht stellte Vezelay fest, dass der Alte Latein sprach, wenn auch ein sehr seltsames. Ein irgendwie altmodischer Dialekt. Der Mann sprach es fließend und melodisch, als ob … es seine Muttersprache sei.
    »Wer bist du?«, rief Vezelay auf Latein.
    »Was spielt das für eine Rolle«, erwiderte der Alte matt. »Wer ich war oder bin. Ich bin niemand. Ich bin nur hier, um dir etwas zu geben, Jean de Vezelay.«
    Der Benediktiner atmete schneller, die Luft in der Grotte fühlte sich einige Grad kälter an.
    »Woher kennst du meinen Namen?«
    »Ich kenne dich schon lange. Du hast dir Zeit gelassen. Aber nun bist du ja da. Also bringen wir es hinter uns.«
    Der Alte machte einige schlurfende Schritte auf ihn zu. Vezelay packte sein Schwert fester.
    »Keinen Schritt weiter!«
    »Beruhige dich! Du kannst mich später immer noch töten. Aber vorher muss ich dir etwas geben. Deswegen bist du doch hier.«
    Er hielt etwas in der ausgestreckten Hand. Ein blaues Amulett. Es glänzte noch vom Wasser des Flusses.
    »Nimm es«, fuhr ihn der Alte an, als wäre er ein verstocktes Kind. »Nun nimm es schon, und dein sehnlichster, dein geheimster Wunsch wird in Erfüllung gehen.«
    Sein sehnlichster Wunsch. Was wusste ein alter Mann in einer Höhle von seinem sehnlichsten Wunsch?
    »Wer bist du?«, rief Vezelay. »Satan?«
    Der Alte lachte laut auf. »Du kannst töten, aber was weißt du schon vom Satan.« Er hustete, als habe er sich verschluckt. »Nein, weder bin ich Satan noch Gott. Ich bin nur ein Bote, der lange warten musste. Also, können wir das Geschäft jetzt abschließen?«
    Vezelay war kein schneller, aber ein gründlicher Denker. Diese seltsame Begegnung setzte ihm zu, und eine Frage drängte sich ihm auf.
    »Was kriege ich zu welchem Preis?«
    »Ah! Die erste gute Frage!«, rief der Alte. »Ja, der Preis. Ich habe ihn bezahlt, Bar Rabban hat ihn bezahlt, und du wirst ihn ebenfalls bezahlen. Was du kriegst, ist zugleich der Preis. Du wirst für den Rest deines Lebens etwas wirklich Großes töten können. Etwas, das niemals sterben wird. Ein endloses Töten. Die Sache ist nur, irgendwann wirst du schwach werden und damit aufhören wollen. Aber du wirst damit fortfahren müssen . Immer weiter, bis du das Amulett an den Nächsten übergeben hast. Das ist der Preis.«
    Er machte noch einen Schritt auf Vezelay zu und hielt ihm das Amulett hin. Und Vezelay verstand plötzlich, dass sein Weg hier zu Ende war, hier in Jerusalem. Dass er bereit war, den Preis zu bezahlen. Dass er das Amulett haben wollte. Unbedingt.
    Und er nahm es.
    In einem Atemzug riss er dem Alten das Amulett aus der Hand und tötete ihn. Doch in dem Wimpernschlag zwischen diesen beiden Bewegungen raste Jean de Vezelay durch die Zeit. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er sah die Welt, wie sie war und wie sie einst sein würde. Er sah die Gnade und das Wesen des Bösen. Er sah ein weites Land inmitten eines Ozeans, bevölkert von echsenartigen Menschen. Jean de Vezelay sah, wie sie die Amulette schufen, von denen er eines gerade dem Alten entrissen hatte. Er sah, dass diese Wesen untergingen und im Gedächtnis der Menschheit aufgingen. Jean de Vezelay sah Reiche erstehen und vergehen. Er sah Landstriche erblühen und in Flammen und Verwüstung untergehen. Er sah einen Mann auf einem Berg und seine schöne Frau. Und zwei andere Männer, die in einem Palast nicht weit von der Stelle, an der er gerade stand, miteinander sprachen. Jean de Vezelay sah und verstand alles in diesem kurzen Augenblick zwischen Empfängnis und Tod. Und die ganze Zeit über sprach eine Stimme zu ihm.
    Die Stimme seiner Mutter.
    »Wenn das Jahrtausend beginnt, das nach dem Jahrtausend kommt, wird es eine dunkle und geheime Ordnung geben. Ihr Gesetz wird der Hass sein und ihre Waffe

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